Spezialeinheiten

Unbemerkt und unerkannt

Bei der Übung „Firestorm“ arbeiteten europäische Zugriffs- und Observationseinheiten grenzüberschreitend zusammen. Ein Abschnitt der Übung fand vom 6. bis 9. März 2023 in Österreich statt.

Europol-Übung „Firestorm“: Ziel war es, die grenzüberschreitende Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den ein zelnen Spezialeinheiten aus dem Zugriffs- und dem Observationsbereich zu trainieren
Europol-Übung „Firestorm“: Ziel war es, die grenzüberschreitende Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den ein zelnen Spezialeinheiten aus dem Zugriffs- und dem Observationsbereich zu trainieren © Gerd Pachauer

Um ein realistisches Szenario abzubilden, wurde der Übung ein Drehbuch zugrunde gelegt. Es sollten die Abläufe einer Observation in Koordination mit dem finalen Zugriff in Echtzeit trainiert werden. Das Szenario: Zwei Ex-IRA-Kämpfer und nunmehrige Angehörige einer kriminellen Vereinigung fliegen von Irland nach Österreich. Dort überqueren sie die Grenze zur Schweiz und nach Deutschland, um Kontaktpersonen zu treffen. Es liegt an den Spezialeinheiten der Länder, in Österreich der Direktion für Spezialeinheiten/Einsatzkommando Cobra, eine lückenlose Observation sowie den damit einhergehenden Zugriff zu gewährleisten und vor allem die Kommunikation zwischen den in- und ausländischen Einheiten aufrecht zu erhalten. Die Polizistinnen und Polizisten kennen den Inhalt des Drehbuchs nicht, lediglich die Übungsleiter wissen, welche Ziele Täter und Kontaktpersonen ansteuern.

Tag eins: von Innsbruck nach Bregenz.

Der Tag startet für die Observationseinheiten am Flughafen Innsbruck. Dort sollen die Zielpersonen um etwa 8:30 Uhr landen, bevor sie ihre Weiterfahrt nach Vorarlberg antreten. Als die Täter einen Mietwagen übernehmen, wird Fahrzeugtyp, Farbe und Kennzeichen von den Mitgliedern der Observationseinheit über Funk durchgegeben. Die Zielpersonen fahren kreuz und quer durch Innsbruck, sie versuchen, Verfolger abzuschütteln. Um etwa 11 Uhr verlassen sie Innsbruck Richtung Imst. Aufgabe der Beamten ist, den Tätern auf der Spur zu bleiben, ohne aufzufallen. Bei Imst fahren die Täter von der Autobahn ab und legen eine Pause in einem Einkaufszentrum ein. Diese Gelegenheit nutzen die observierenden Polizisten, um Fotos von den Verdächtigen anzufertigen. Am Nachmittag geht die Fahrt weiter nach Vorarlberg. Über eine Bergstraße kommen die Täter zu einer Berghütte. Hier kommt selten jemand vorbei. Einmal fährt ein älteres Ehepaar mit einem Anhänger voll Brennholz die Forststraße am Haus vorbei, ein anderes Mal radelt ein Mountainbiker an der Berghütte vorbei. Als außenstehende Person würde einem hier nichts verdächtig vorkommen. Doch die Berghütte wird bereits unauffällig von Polizeikräften fotografiert. Im Wald befinden sich weitere Mitglieder der Observationseinheit und beobachten die Hütte. Die Beamten bleiben unbemerkt.

An der grenzüberschreitenden Übung nahmen fünfzehn nationale Spezialeinheiten teil, in Österreich war es das EKO Cobra
An der grenzüberschreitenden Übung nahmen fünfzehn nationale Spezialeinheiten teil, in Österreich war es das EKO Cobra © Gerd Pachauer

Tag zwei: Zugriff.

Die österreichische Polizei nimmt frühmorgens Kontakt zur deutschen und zur Schweizer Polizei auf. Falls die Täter sich der Grenze nähern, sind die Polizistinnen und Polizisten in den Nachbarländern vorbereitet. Sie können die Observation fortsetzen und sich auf den Zugriff vorbereiten. Um 9:30 Uhr überqueren die Täter die Grenze nach Deutschland. Die deutschen Einheiten übernehmen, überwachen die Männer, als sie in einem Kaffeehaus eine Kontaktperson treffen. All das wird von den Observationseinheiten festgehalten. Fotos und Informationen werden laufend an die beteiligten Interventionseinheiten und Leitstellen in den einzelnen Ländern und die ATLAS-Koordinationsstelle bei Europol weitergegeben. Um die Mittagszeit verlassen die Zielpersonen Österreich, die deutschen Einheiten heften sich an ihre Fersen. Für die österreichischen Einheiten sind nun nicht mehr die Zielpersonen, sondern deren Kontaktpersonen interessant. Diese überqueren die Grenze zur Schweiz und fahren ein verlassenes Bürogebäude auf einem ehemaligen Fabriksgelände an. Ihre Bewegungen werden von den Observationseinheiten überwacht und an die Interventionseinheiten weitergegeben. Das Einsatzkommando Cobra und die Schweizer Spezialeinheiten machen sich für den gemeinsamen Zugriff bereit. Dann geht alles ganz schnell. Mit den Waffen im Anschlag sprinten die Polizisten aus ihren Verstecken und stürmen das Bürogebäude. Jeder Raum wird durchsucht, die beiden Kontaktpersonen werden überwältigt und festgenommen. Der Zugriff auf die Haupttäter wird erst später in den Niederlanden durch die dortigen Spezialeinheiten erfolgen.
Die Zugriffe standen jedoch nicht im Fokus der Übung. Neben der Gewährleistung der lückenlosen Observation von Zielpersonen auch bei Grenzübertritten ging es um die Koordination der gesamten länderübergreifenden Kommunikation zwischen Interventionseinheiten und Observationseinheiten.
Koordiniert vom „ATLAS Support Office“ bei Europol wurde die Übung von fünfzehn nationalen Spezialeinheiten über europäische Grenzen hinweg abgehalten. Sie war Teil einer größeren, europäischen Strategie, um bei grenzüberschreitenden Bedrohungen Täter und ihre Kontaktpersonen zu überwachen und für die Sicherheit Europas zu sorgen. Und: Es hat funktioniert. Die Kommunikation zwischen den Einheiten der jeweiligen Länder, die lückenlose Observation und die darauffolgenden Zugriffe konnten erfolgreich gewährleistet werden.

Viktoria Punz

Europaweite Übung

„Firestorm“

Umgesetzt wurde „Firestorm“ vom ATLAS-Netzwerk europäischer Spezialeinheiten in Kooperation mit der „European Surveillance Group“. Finanziert wurde die „Cross Network Exercise“ von Europol. Die Übung fand vom 6. bis 9. März 2023 in verschiedenen europäischen Staaten statt. Das Ziel war es, die grenzüberschreitende Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Spezialeinheiten aus dem Zugriffs- und dem Observationsbereich zu professionalisieren. Hierzu wurde das Kommunikationssystem „NEOS“ des ATLAS-Verbundes eingesetzt. Ein weiteres Hauptaugenmerk war auf den grenzüberschreitenden Transport von Ausrüstung, Waffen und Munition gerichtet. Beim finalen Zugriff in Holland kamen auch ausländische ATLAS-Einheiten wie die deutsche GSG 9 zum Einsatz, um die Kollegen der niederländischen DSI zu unterstützen.
An der europäischen Übung beteiligten sich neben Österreich die Schweiz, Deutschland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Irland und Großbritannien. In Österreich lag die Organisation bei der Direktion für Spezialeinheiten des Innenministeriums, unter deren gemeinsamem Dach Observations- und Interventionskräfte gebündelt werden.

 

Kooperation

ATLAS und ESG

Das ATLAS-Netzwerk ist ein 2001 gegründeter Kooperationsverbund von 38 Sondereinheiten der EU-Mitgliedstaaten sowie von Island, der Schweiz, Norwegen und dem Vereinigten Königreich. Um die Sicherheit Europas zu gewährleisten, müssen solche Übungen regelmäßig durchgeführt werden. Eine gute Kooperation zwischen den Sondereinheiten ist Voraussetzung für den Erfolg in Ernstfällen. Seit 2019 befindet sich das Unterstützungsbüro des ATLAS-Netzes, das ATLAS-Support-Office, in der Zentrale von Europol in Den Haag. Es ist dem European Counter Terrorism Center (ECTC) angegliedert und steht unter österreichischer Leitung. Durch die Verbindung von ATLAS und Europol wurden bereits mehrere „Cross Network Exercises“ initiiert, zuletzt etwa zwischen ATLAS und dem europäischen Air-Marshal-Programm EIFS.
Die European Surveillance Group (ESG) ist ein Netzwerk von polizeilichen Observationseinheiten der EU-Mitgliedstaaten sowie von Norwegen, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz, das 2007 gegründet wurde und von der Europäischen Kommission finanziert wird.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2023

Druckversion des Artikels (PDF 713kB)