Recht

Ortspolizeiliche Verordnungen

Bei der Vollziehung von ortspolizeilichen Verordnungen stellen sich für Gemeindebedienstete, aber auch für Beamte der Bundespolizei und von Gemeindewachkörpern vielseitige Rechtsfragen.

In jeder Gemeinde Österreichs gibt es ortspolizeiliche Verordnungen (oV). Während in Ischgl das Tragen von Hartschalenschuhen, Skiern und Skistöcken im Winter während der Nachstunden verboten ist, darf man in den Seeanlagen von Bregenz keine Notdurft verrichten. In der Gemeinde Au im Bregenzerwald ist Stellungspflichtigen der Brauch des „Aushängens von Hähnen und Hennen an Kirchen, Häusern oder Gebäuden“ verboten. In der Gemeinde Zwischenwasser ist das Beschädigen von gemeindeeigenen Baulichkeiten und Spielgeräten in einer oV verboten. Alle Zuwiderhandlungen gegen diese oV begründen eine Verwaltungsübertretung.

Städtische Sicherheitswache Bad Ischl: Gemeindewachkörper gibt es derzeit in rund 40 österreichischen Gemeinden in allen Bundesländern außer Wien und dem Burgenland
Städtische Sicherheitswache Bad Ischl: Gemeindewachkörper
gibt es derzeit in rund 40 österreichischen Gemeinden
in allen Bundesländern außer Wien und dem
Burgenland © Gregor Wenda

Rechtsgrundlage für eine oV ist nur die Bundesverfassung (B-VG). In Art 118 Abs. 6 B-VG wird den Gemeinden das Recht zugesprochen, zur Abwehr und Beseitigung bestehender oder drohender Missstände, die das örtliche Gemeinschaftsleben stören, entsprechende oV zu erlassen. Obwohl das Recht zur Erlassung einer oV direkt der Verfassung entspringt, wiederholen alle von den Landesgesetzgebern kundgemachten Gemeinde- und Stadtordnungen diesen Verfassungstext wortident. Ungeachtet dessen bleibt die Bundesverfassung und nicht das Landesgesetz die Rechtsgrundlage für eine oV, da der Landesgesetzgeber in dieses verfassungsunmittelbare Recht der Gemeinden gar nicht regulierend eingreifen kann. Da oV kein bereits bestehendes Gesetz durch eine Verwaltungsbehörde präzisieren, sind sie keine Durchführungsverordnungen nach Art 18 Abs. 2 B-VG, sondern gesetzesergänzende und gesetzesvertretende Verordnungen, die im Stufenbau der Rechtsordnung auf Ebene der Bundes- und Landesgesetze stehen.

Regelungsinhalt einer oV können Sachverhalte sein, die im eigenen Wirkungsbereich einer Gemeinde nach Art. 118 Abs. 2 und 3 B-VG liegen, den Zweck der Abwehr oder der Beseitigung störender Missstände für das örtliche Gemeinschaftsleben verfolgen und nicht schon anderweitig vom Bundes- und Landesgesetzgeber geregelt worden sind.
Klassisch sind etwa die Hundeleinenpflicht oder das Gebot der Entsorgung von Hundekot. OV dürfen aber nicht gegen Landes- und Bundesgesetze verstoßen. Den wichtigsten Einfluss, den der Bundesgesetzeber und der Landesgesetzgeber auf die Erlassung von oV nehmen können, ist, dass sie verpönte Verhaltensweisen entsprechend der Kompetenzverteilung in der Bundesverfassung selbst in einem Gesetz regeln. Sowohl der Bundesgesetzeber, als auch der Landesgesetzgeber können daher den Anwendungsbereich von oV für die Gemeinden erweitern oder reduzieren.
Auf Grund des tendenziell immer dichter werdenden Bundes- und Landesrechts kommt es in der Praxis zunehmend zur Reduktion. Eine Gemeinde, die eine oV erlässt, ist demnach zwar nicht formell, aber doch materiell bzw. faktisch ein „Gesetzgeber“ für jene Sachverhalte, die der Bundes- oder der Landesgesetzgeber nicht örtlich als gemeindeübergreifend zu regeln erachtete. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Missstände nur in einzelnen Gemeinden auftreten.
Eine ausreichende Determinierung der oV ist durch den beschlossenen Text sicherzustellen, zumal es sich dabei um Verwaltungsübertretungen handelt, die denselben Prüfungen wie Gesetze standhalten müssen. Der Regelungsinhalt der oV muss sachlich gerechtfertigt, zur Zweckerreichung dienlich und zuletzt verhältnismäßig sein. An den Eingangsbeispielen gemessen, wäre eine oV über das Tragen von „lärmenden“ Skischuhen und Skiern in engen Gassen mit einer entsprechenden Verletzungsgefahr in Gemeinden ohne Skilifte oder baulicher Beengtheit wohl kaum zu argumentieren.
Das Verrichten der Notdurft ist von den Landesgesetzen üblicherweise bereits als Anstandsverletzung unter Strafe gestellt, wofür aber eine öffentliche Begehung nötig ist (ab circa 10 Personen). Wenn Bregenz seine Seeanlagen auch vom Missstand der nicht öffentlich wahrnehmbaren Notdurft schützen möchte, so mag der Gemeinde dieses Recht zugestanden werden.
Gleiches gilt für die Vorarlberger Gemeinden Au und Schoppernau, die sich mit einer oV gegen den nur dort vorkommenden Brauch des „Aushängens von Hähnen und Hennen“ wappnen wollten. In der Osternacht versuchen „Musterungsburschen“, also stellungspflichtige junge Männer des jeweiligen Jahres, Geflügel aus den frei zugänglichen Gärten der Nachbarschaft für ein paar Stunden mitzunehmen und in Kästen an Kirchen oder vor den Häusern gleichaltriger Mädchen „auszuhängen“, also hin zu stellen.
Da die Tiere nicht gequält werden, greifen weder das Strafgesetzbuch, noch das Tierschutzgesetz. Rechtlich nicht möglich ist das Verbot der Sachbeschädigung an gemeindeeigenen Baulichkeiten in einer oV.
Die Beschädigung fremden Eigentums ist vom Bundesgesetzgeber bereits ab­schließend im Strafrecht (§ 125 ff StGB) geregelt worden; für eine fahrlässige Begehung sieht der Bundesgesetzgeber überdies keinen Spielraum vor. Somit ist auch die zum Teil geführte rechtliche Diskussion, ob eine Gemeinde in einer oV nicht zumindest fahrlässige Sachbeschädigungen zu Verwaltungsübertretungen erklären könnte, eindeutig zu verneinen.

Geltungsbereich.

Beim räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich ist die Gemeinde auf ihr eigenes (allenfalls nur teilweises) Gemeindegebiet beschränkt. Wortidente oV von Nachbargemeinden sind zulässig. Zeitlich darf eine Gemeinde eine oV (mit Erklärung zur Verwaltungsübertretung) nicht rückdatieren, da rückwirkende Strafnormen unzulässig sind. Bei der Kundmachung genügt die ortsübliche Kundmachung, die üblicherweise im Anschlag an der Amtstafel besteht. Manche Gemeindeordnungen sehen zudem die Kundmachung und Evidenthaltung im Internet auf der Gemeindehomepage vor, da oV weder im Rechtsinformationssystem eingepflegt, noch durch Zeichen ständig sichtbar kundgemacht sind. Es empfiehlt sich für die Gemeinde dennoch, durch entsprechende Zeichen (zum Beispiel Hinweistafeln) solche oV den Normunterworfenen zur Kenntnis zu bringen. Der Vollzug einer oV ist für die polizeiliche Praxis besonders bedeutend. Die in der jeweiligen Gemeinde wohnhaften Bürgerinnen und Bürger wissen zumeist um das Bestehen der oV und erwarten sich daher nicht nur ein entsprechendes Einschreiten, sondern auch die Beendigung des strafbaren Fehlverhaltens und entsprechende Anzeigen.
Zuständig für den Vollzug einer oV sind in ers­ter Linie die eigenen Organe jener Gemeinde, die die oV erlassen hat. Das sind neben dem Bürgermeis­ter vor allem die Bediensteten der Gemeinde. Diesen kommen aber nur die sogenannten „Jedermannsrechte“ zu, im Wesentlichen also das Recht zur Anzeigeerstattung an die Strafbehörde. Nicht in Betracht kommen für Gemeindeorgane hingegen die Zwangsbefugnisse des VStG, obgleich diese notwendig wären, wenn eine Person, die die Regelungen der oV übertritt, den Gemeindeorganen nicht bekannt ist (z.B. Identitätsfeststellung). Das Bestehen einer „schlichten Gemeindewache“ reicht dafür ebenfalls nicht aus, weil deren Angehörige nach der Verfassung – anders als Beamte eines Gemeindewachkörpers – nicht zu Zwangsmaßnahmen nach dem VStG ermächtigt werden können. Gleiches gilt, wenn Gemeinden private Sicherheitsdienste beschäftigten: Diese können letztlich nur optisch präventiv in Erscheinung treten, aber keine Handlungen erzwingen. Diesem faktischen Vollzugsproblem können nur jene Gemeinden begegnen, die sich einen eigenen Gemeindewachkörper leisten.

Gemeindewachkörper bestehen derzeit in rund 40 österreichischen Gemeinden in allen Bundesländern außer Wien und dem Burgenland Gemeindewachkörper. Deren Angehörige können ad personam von der Bezirksverwaltungsbehörde, nach Antrag durch die Gemeinde, zur Handhabung des VStG ermächtigt werden. Damit steht ihnen beim Verstoß gegen eine oV im eigenen Gemeindegebiet insbesondere das Recht zur zwangsweisen Identitätsfeststellung sowie zur Festnahme beim Verharren in der strafbaren Handlung zu.
Möglich ist, dass der Landesgesetzgeber besondere Aufsichtsorgane einführt, die auch eine oV mit Zwangsmaßnahmen vollziehbar machen würden. In der Praxis ist dies jedoch noch nicht geschehen.

Fremde Gemeindewachkörper.

Der Vollzug von oV durch Angehörige fremder Gemeindewachkörper innerhalb des Sprengels der ermächtigenden Bezirkshauptmannschaft ist eine aufkommende Forderung im Rahmen von Kooperationsprojekten zwischen Gemeinden. Betrachtet man den reinen Wortlaut des Art. 118a Abs. 2 B-VG („… im selben Umfang mitzuwirken wie die übrigen Organe des öffentlichen Sicherheits­dienstes“), könnte man dies bejahen.
Dies Ansicht lässt allerdings den Ausschussbericht der Ursprungsfassung des heutigen Art. 118a Abs. 2 B-VG außer Acht. Der Verfassungsgesetzgeber wollte die Tätigkeiten der Angehörigen von Gemeindewachkörpern auf das eigene Gemeindegebiet beschränkt wissen. Angehörige eines Gemeindewachkörpers hätten sich bei der Vorführung eines Festgenommenen vor die Behörde dann der Bundesgendarmerie zu bedienen, wenn diese Behörde ihren Sitz außerhalb der Gemeinde hätte (vgl. AB 241 BlgNr 18 GP 2).
Ein weiterer Punkt: Würde man nämlich bejahen, dass ein Gemeindewachkörper im gesamten Sprengel der ermächtigenden Bezirkshauptmannschaft zuständig wäre, so wäre dies kein „Dürfen“, sondern ein „Müssen“. Der Hoheitsverwaltung ist es nämlich fremd, dass sich ein Organ seine dienstlichen Tätigkeiten nach eigenem Ermessen aussuchen kann. Wenn ein Organ tatsächlich zuständig ist, müsste es aus eigenem für alle oV im gesamten Sprengel seiner Bezirkshauptmannschaft tätig werden – auch in fremden Gemeinden und ohne Kostenersatz. Ein solcher Schluss kann weder im Sinne der den Gemeindewachkörper unterhaltenden Gemeinde sein, noch dem Verfassungsgesetzgeber unterstellt werden.
Unzuständig für die Vollziehung einer oV sind in jedem Fall die Organe der Bundespolizei. Die Bundespolizei darf bei der Verletzung einer oV nicht einschreiten und ihr kommen keinerlei Befugnisse nach dem VStG zu. Nur weil ein Fehlverhalten eine Verwaltungsübertretung darstellt, hat die Bundespolizei noch keine automatischen Mitwirkungspflichten. Diese sind streng an § 25 Abs 1 VStG zu messen: Mitwirkungspflichten müssen im jeweiligen Materiengesetz verankert sein. In der Praxis wird ein effektiver Vollzug von oV üblicher Weise dadurch gewährleistet sein, dass auf Grund der Personalkenntnis in kleineren Gemeinden eine Übertreterin oder ein Übertreter nicht anonym bleibt. Dadurch sind Anzeigen an die Strafbehörde möglich. Zudem wird beim öffentlichen Zuwiderhandeln gegen eine unter Strafe stehende Verwaltungsnorm im Gefüge einer Gemeinde durchwegs eine „soziale Ächtung“ erzeugt, die selbstregulierend wirken kann.

Mario Breuß

Eine ausführliche Fassung dieses Beitrages ist unter dem Titel „Ortspolizeiliche Verordnungen und ihre Relevanz für die Bundespolizei“ in Ausgabe 1/2023 des SIAK-Journals (S. 41 ff.) erschienen.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2023

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