Verkehrsrecht

Straßenverkehr und Recht

Entscheidungen des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes zu den Themen E-Scooter als Kraftfahrzeug im Sinn des Kraftfahrgesetzes (KFG), unzureichende Erteilung einer Lenkerauskunft und fehlerhafte Kundmachung einer Geschwindigkeitsbeschränkung.

E-Scooter als Kraftfahrzeug im Sinn des KFG

Ein E-Scooter ist im Gegensatz zu einem Fahrrad ein Kraftfahrzeug im Sinn des KFG
Ein E-Scooter ist im Gegensatz zu einem Fahrrad ein Kraftfahrzeug im
Sinn des KFG © Werner Sabitzer

Die BH Bregenz verdächtigte den späteren Mitbeteiligten, einen E-Scooter mit einer Leistung von 2.400 Watt, einer Bauartgeschwindigkeit von 70 km/h und einem Felgendurchmesser von 24,4 cm, der über eine Lenkstange, nicht jedoch über eine Sitzvorrichtung verfügte, in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Als er sich weigerte, sich zur Feststellung des Grades seiner Beeinträchtigung einem Polizeiarzt vorführen zu lassen, verhängte sie gegen ihn eine Geldstrafe (§ 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 5 erster Satz und Abs. 9 StVO, § 1 Abs. 2a KFG).
Das LVwG Tirol gab der Beschwerde statt und stellte das Verwaltungsstrafverfahren mit der Begründung ein, dass E-Scooter unabhängig von ihrer technischen Leistung keine Fahrzeuge im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO seien. Außerdem habe der Mitbeteiligte nicht mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden, weshalb er nicht verpflichtet gewesen sei, sich einer polizeiärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die BH Bregenz erhob Amtsrevision und war erfolgreich. Aus der Begründung des VwGH: Ein Fortbewegungsmittel mit einer Leistung von 2.400 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von 70 km/h ist zwangsläufig nur auf einer Fahrbahn einsetzbar und fällt daher unter die für den Fahrzeugbegriff (§ 2 Abs. 1 Z 19 StVO) maßgebliche Kategorie des „zur Verwendung auf Straßen bestimmten“ Beförderungsmittels. Der VwGH hat jüngst entschieden, dass Klein- und Miniroller mit einer Leistung von höchstens 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von höchstens 25 km/h Fahrzeuge im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 19 StVO sind, deren Lenker den Regeln für Radfahrer unterliegen (Erkenntnis vom 23.11.2022, Ra 2022/02/0043, dazu Öffentliche Sicherheit, März/April 2023, S. 111). Es ist kein Grund ersichtlich, den Fahrzeugbegriff der StVO nicht auch auf E-Scooter anzuwenden, die diese Grenzwerte sogar überschreiten.
Die BH Bregenz hat dem Mitbeteiligten auch vorgeworfen, ein Kraftfahrzeug gelenkt zu haben. § 2 Z 1 KFG definiert ein Kraftfahrzeug als „ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes oder auf Straßen verwendetes Fahrzeug, das durch technisch freigemachte Energie angetrieben wird“. Da die Definition des Fahrrades (§ 1 Abs. 2a KFG) hier nicht zutrifft, war der vom Mitbeteiligten gelenkte, durch technisch freigemachte Energie angetriebene E-Scooter auch als Kraftfahrzeug im Sinn des KFG zu qualifizieren.
Indem das LVwG Tirol den E-Scooter des Mitbeteiligten zu Unrecht nicht als Fahrzeug im Sinn der StVO qualifizierte und deshalb das Strafverfahren einstellte, verkannte es die Rechtslage. Sein Erkenntnis Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

VwGH Ro 2022/02/0010
16.3.2022

Unzureichende Lenkerauskunftserteilung

Im Rechtsmittelweg verhängte das Verwaltungsgericht Wien gegen den Geschäftsführer einer GmbH eine Geldstrafe. Es warf ihm vor, dass er für ein auf die GmbH angemeldetes Kraftfahrzeug eine Lenkerauskunft nicht ordnungsgemäß erteilt hatte (§§ 103 Abs. 2, 134 Abs. 1 KFG iVm § 9 Abs. 1 VStG). Außerdem verpflichtete es ihn zur Leistung eines Verfahrenskostenbeitrags, sprach aus, dass die GmbH für die Geldstrafe und sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen hafte (§ 9 Abs. 7 VStG), und erklärte die Revision für unzulässig (Art. 133 Abs. 4 B-VG).
Eine Lenkererhebung sei, so der Geschäftsführer und die GmbH in der außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH), ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen. Daher stelle sich die in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Frage, ob eine Lenkererhebung dem Verhältnismäßigkeitsgebot zu genügen hat und daher auf Fälle schwerwiegender Verwaltungsübertretungen einzuschränken ist. Sollte dies zutreffen, wäre das Strafverfahren einzustellen, denn im Fall der Revisionswerber gehe es bloß um die Übertretung eines in Wien geltenden „Hupverbotes“, also um ein Bagatelldelikt. Die Revision wurde zurückgewiesen.
Aus der Begründung des VwGH: Die Lenkererhebung gemäß § 103 Abs. 2 KFG soll unter anderem sicherstellen, dass Personen, die einer kraftfahr- oder straßenverkehrsrechtlichen Verwaltungsübertretung verdächtig sind, jederzeit und ohne unnötige Verzögerung ermittelt werden können. Sie dient vor allem dem Interesse an einer raschen und lückenlosen Verfolgung von straßenverkehrs- und kraftfahrrechtlichen Verwaltungsübertretungen, ist aber auch in Fällen ohne strafrechtlichen Bezug zulässig, etwa zur Ausforschung von Zeugen. Soweit eine Lenkererhebung der Verfolgung einer Verwaltungsübertretung dient, differenziert § 103 Abs. 2 KFG nicht nach deren Schweregrad. Die Zulässigkeitsbegründung der Revision findet daher im Gesetzeswortlaut keine Deckung und steht im Übrigen auch zu bestehender Rechtsprechung des VwGH in Widerspruch (z. B. Erkenntnis vom 21.12. 1995, 94/18/1021).
Gibt der Zulassungsbesitzer – wie hier – an, sich nicht mehr erinnern zu können, wer ein Kraftfahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt gelenkt hat, so gibt er damit zu verstehen, dass er seiner Auskunftspflicht nicht nachkommen kann. Dem Auskunftsverlangen der Kraftfahrbehörde kommt er damit zwar formell nach, die Auskunft entspricht jedoch inhaltlich nicht den Anforderungen des § 103 Abs. 2 KFG. In einem solchen Fall erübrigen sich weitere Nachforschungen der Kraftfahrbehörde, wie sie die Rechtsprechung etwa bei der Benennung einer im Ausland aufhältigen und für die Behörde nicht ohne weiteres greifbaren Person als Lenker für notwendig erachtet hat.
Die Revision zeigt insgesamt keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf und war daher zurückzuweisen.

VwGH Ra 2022/02/0229 bis 0230, 16.1.2023

Fehlerhafte Kundmachung einer Geschwindigkeitsbeschränkung

Geschwindigkeitsbeschränkung: Eine fehlerhafte Kundmachung kann zur Aufhebung durch den VwGH führen
Geschwindigkeitsbeschränkung: Eine fehlerhafte
Kundmachung kann zur Aufhebung durch den VwGH führen.
© Werner Sabitzer

Die Bezirkshauptmannschaft (BH) Innsbruck verhängte gegen den Lenker eines Kraftfahrzeugs eine Geldstrafe. Sie warf ihm vor, dass er am 24. Dezember 2020 im Gemeindegebiet von Zirl auf der B 177 (Seefelder Straße) in Fahrtrichtung Seefeld die dort geltende Höchstgeschwindigkeit übertreten hatte. Dem lag eine Verordnung der BH Innsbruck zugrunde, die auf einem Streckenabschnitt der B 177 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h verfügt hatte. Für die Fahrtrichtung Seefeld sah diese Verordnung eine Kundmachung in der Form vor, dass – unter anderem – 50 Meter nach der Kilometrierungstafel 0,8 das Vorschriftszeichen „Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h“ mitsamt der Längenangabe „1.560 m“ auf beiden Straßenseiten und vier Meter nach der Kilometrierungstafel 2,4 das Vorschriftszeichen „Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h“ (nur) auf der rechten Straßenseite anzubringen war.
Im Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht (LVwG) Tirol stellte sich heraus, dass das zuletzt genannte Vorschriftszeichen zur Tatzeit entgegen dem Verordnungstext auf der linken Straßenseite angebracht war. Außerdem ergab sich, dass die Distanz zwischen Beginn und Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung nur 1.550 Meter betrug und damit nicht der kundgemachten Längenangabe entsprach. Das LVwG Tirol ging von einer fehlerhaften Kundmachung der Verordnung aus und beantragte beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) – zum Teil erfolgreich – deren Aufhebung.
Aus der Begründung des VfGH: Gemäß § 52 lit. a Z 10b StVO kann das Vorschriftszeichen „Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung“ – im Gegensatz zu anderen Straßenverkehrszeichen – zwar auch „auf der Rückseite des für die Gegenrichtung geltenden Straßenverkehrszeichens“, also auf der linken Straßenseite angebracht werden. Von dieser Option macht die Verordnung der BH Innsbruck jedoch – zulässigerweise – keinen Gebrauch, denn sie sieht ausdrücklich eine Kundmachung auf der rechten Straßenseite vor. Entgegen dem Verordnungstext war das Vorschriftszeichen „Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h“ zum Tatzeitpunkt auf der falschen Straßenseite angebracht, die Verordnung insoweit fehlerhaft kundgemacht und im Ausmaß dieses Kundmachungsfehlers auch gesetzwidrig. Gemäß Art. 139 Abs. 4 erster Satz B-VG war diese Gesetzwidrigkeit allerdings bloß für die Vergangenheit – einschließlich des Tatzeitpunktes – festzustellen, denn seit dem 24. August 2022 ist das betreffende Vorschriftszeichen auf der rechten Straßenseite angebracht und die Verordnung damit nicht mehr fehlerhaft kundgemacht.
Der Aufhebungsantrag umfasst auch jene Bestimmungen in der Verordnung, die die Höchstgeschwindigkeit in der Fahrtrichtung A 12 (Inntalautobahn) und deren Kundmachung regeln. Diese Bestimmungen waren vom LVwG Tirol jedoch nicht anzuwenden und sind für die Entscheidung des VfGH nicht präjudiziell. Soweit das LVwG Tirol die Aufhebung dieser Bestimmungen begehrt, war sein Antrag also zurückzuweisen.

VfGH V 191/2022
28.2.2023

Bernhard Krumphuber


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2023

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