Kompetenzzentrum für abgängige Personen

Täglich 30 Abgängige

Das Kompetenzzentrum für abgängige Personen (KAP) im Bundeskriminalamt wurde im Herbst 2013 gegründet. Es ist die nationale und internationale Drehscheibe bei der Fahndung nach Vermissten.

Rund 75 Prozent aller vermissten Personen sind Minderjährige, die aus Betreuungseinrichtungen davonlaufen
Rund 75 Prozent aller vermissten Personen sind Minderjährige, die aus Betreuungseinrichtungen davonlaufen © Stockphoto.uk - stock.adobe.com

Es gibt viele Gründe, weshalb Menschen verschwinden. Es kann der eigene Wunsch – ausgelöst von Problemen oder dem Gefühl der Ausweglosigkeit beziehungsweise dem Verlangen ein anderes Leben in einer anderen Umgebung zu führen – Anstoß dafür sein. Das Verschwinden kann aber auch durch Dritte verursacht werden, etwa durch einen Unfall oder ein Verbrechen. Im Herbst 2013 wurde das KAP im Bundeskriminalamt eingerichtet. Es versteht sich als zentrale Ansprechstelle für vermissten Personen. Zwei erfahrene und eigens dafür zuständige Kriminalbeamte arbeiten in dieser Einheit: Chefinspektor Stefan Mayer und Kontrollinspektor Gerhard Brunner.
Von 2016 bis 2022 registrierte die Polizei jährlich österreichweit zwischen 10.000 und 12.000 Abgängigkeitsanzeigen, von denen rund 55 Prozent Frauen betreffen und 45 Prozent Männer. 75 Prozent aller vermissten Personen sind Minderjährige. Während bei über 60 Prozent der erwachsenen Abgängigen Männer sind, ist es bei Minderjährigen umgekehrt: Rund 60 Prozent der vermissten Kinder und Jugendlichen sind weiblich. 2020, im ersten Jahr der Pandemie, waren es mit 9.000 etwas weniger Abgängige als im Durchschnitt. Über die Jahre gesehen, haben sich die Zahlen somit nur wenig verändert. Zu 85 Prozent tauchen Vermisste innerhalb einer Woche wieder auf, zu 95 Prozent innerhalb eines Monats und zu 98 Prozent innerhalb eines Jahres. In 65 bis 70 Prozent der Fälle kehren die Vermissten von selbst wieder zurück und in etwa 20 bis 25 Prozent findet sie die Polizei. Pro Jahr werden etwa 100 Abgängige nur mehr tot aufgefunden. Von allen innerhalb eines Jahres angezeigten Fällen bleiben fünf bis zehn Fälle ungelöst.

Schwerpunkte und Aufgaben.

Im Laufe der letzten zehn Jahre entwickelte sich das KAP als nationale und internationale Schnittstelle bei der Fahndung nach Vermissten. Das Kompetenzzentrum ist zuständig für Grundsatzangelegenheiten der Vermisstenfahndung, mit dem Ziel, die österreichischen Sicherheitsdienststellen zu unterstützen. Zu den Kernaufgaben zählt die Erstellung von Statistiken und Lagebildern über Abgängige.
Der Dialog mit Angehörigen und das Beschwerdemanagement, der Ausbau der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen sowie die Vernetzung auf nationaler und internationaler Ebene, zielgruppenorientierte Präventionsmaßnahmen, Wissens- und Qualitätsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und die Unterstützung bei der internationalen Fahndung nach Vermiss­ten bilden die Schwerpunkte des KAP.

Internationale Zusammenarbeit.

Stefan Mayer: „Der Zeitfaktor spielt bei der Suche nach pflegebedürftigen Personen eine entscheidende Rolle.“
Stefan Mayer: „Der Zeitfaktor spielt bei der Suche nach
pflegebedürftigen Personen eine entscheidende Rolle.“
© Bundeskriminalamt

„In Vermisstenfällen, bei denen sich die Betroffenen im Ausland aufhalten könnten, werden wir selber tätig. Fahndungs- und Auskunftsersuchen werden vom Bundeskriminalamt an andere Staaten weitergeleitet und – wenn dies erforderlich wird – eine weltweite Fahndung veranlasst“, sagt Chefinspektor Mayer. In den vergangenen Jahren betätigte sich das KAP im Police-Experts-Network – Missing Persons (PEN-MP), um die Zusammenarbeit in Europa auszubauen und zu verbessern. Seit der ersten Konferenz in Den Haag 2019 befindet sich das Netzwerk im kontinuierlichen Aufbau und arbeitet daran, die grenzüberschreitende Fahndung nach Vermissten zu optimieren. „Auch die persönliche Vernetzung der Ermittlerinnen und Ermittler ist daher von Interesse, denn dadurch wird der Austausch untereinander gefördert und Kommunikationswege werden verkürzt“, sagt Mayer. Darüber hinaus gab es bei der Gesichtsweichteilrekonstruktion Kooperationen des KAP mit dem Bundeskriminalamt Wiesbaden und dem Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt. Dadurch war es möglich, die Gesichter von zwei unbekannten Leichen zu rekonstruieren, von denen nur Schädelknochen gesichert werden konnten.

Plötzlich wieder aufgetaucht.

Nachdem ein jugendlicher Autist 2015 seine Tagesstätte in Wien verlassen hatte, verschwand er. Eine internationale Fahndung und eine Öffentlichkeitsfahndung wurden eingeleitet. Im Mai 2017 folgte ein Aufruf in der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ – ohne Erfolg. Drei Jahre später tauchte der Jugendliche von allein wieder auf. Er wollte wieder nach Hause. Der junge Mann war ohne Geld und Ausweise per Zug und Bus von Wien nach Italien gereist, war drei Tage nach seinem Verschwinden von der italienischen Polizei in verwirrtem Zustand aufgefunden worden und hatte in Bezug auf seinen Namen und seine Herkunft falsche Angaben gemacht. Aufgrund seines Allgemeinzustands war er in ein Spital eingeliefert und später in eine Betreuungseinrichtung für autistische Jugendliche in Mailand aufgenommen worden. Das KAP stand während des Verschwindens in ständigem Kontakt mit der Familie und betreute sie.

Österreicher in Kroatien vermisst.

Mitte Juli 2023 wurde ein 61-jähriger Wiener zum letzten Mal auf der kroatischen Insel Krk gesehen. Seither fehlt jede Spur von ihm. Das KAP steht in diesem Fall mit den Angehörigen in ständigem Kontakt sowie mit der österreichischen Botschaft in Zagreb, mit dem polizeilichen Verbindungsbeamten und führt den internationalen Schriftverkehr über den Sirene-Kanal durch.

Das Mitwirken der Öffentlichkeit am Auffinden von Vermissten hat sich als geeignet erwiesen. Vom KAP werden – wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind – Fahndungen über Facebook, die Homepage des Bundeskriminalamtes und über die Sicherheits-App veröffentlicht. Weiters wird die Zusammenarbeit mit Medien forciert. „Wir treten auch aktiv an Polizeidienststellen heran, wodurch wir bereits etwa 100 solcher Fahndungen veranlassen konnten. Seit Mai 2015 besteht die Möglichkeit, über Infoscreen nach Abgängigen auf Bildschirmen in öffentlichen Verkehrsmitteln und deren Stationen in Wien und beinahe allen Landeshauptstädten zu fahnden“, sagt der Experte. Durch diese Kooperation konnten bereits wiederholt Erfolge verbucht werden und Angehörige zusammengeführt werden.

Zusammenarbeit mit Landeskriminalämtern.

Die Vernetzung mit externen und internen Einrichtungen, die häufig mit Abgängigkeitsfällen konfrontiert sind, bildete in den vergangenen zehn Jahren die Grundlage für die Erfolge des KAPs. Die Zusammenarbeit des KAPs mit den Fahndungsgruppen der Landeskriminalämter ist eine der wichtigsten Neuerungen in der polizeiinternen Kommunikation. Mindes­tens zwei Spezialisten dieser Fahndungsgruppen sind fixe Ansprechpartner für das Kompetenzzentrum, was eine schnelle Kommunikation zwischen den Dienststellen sicherstellt. Obwohl das KAP keine operative Einheit ist, wurde schon bei einigen Fällen erfolgreich mit den Spezialistinnen und Spezialisten auf der Ermittlungsebene zusammengearbeitet.

Zielgruppenorientierte Prävention.

Die am häufigsten als vermisst gemeldete Personengruppe sind Minderjährigen, die in Betreuungseinrichtungen untergebracht sind. Etwa 75 Prozent der vermissten Kinder und Jugendlichen wohnen in Betreuungseinrichtungen, aus denen sie sich entfernen. In der Regel werden sie rasch wieder gefunden oder sie kehren selbst in die Einrichtungen zurück. Oft sind es wenige Minderjährige, die öfter als vermisst gemeldet werden.
„Es gibt Minderjährige, die schon 50-mal oder öfter zur Fahndung ausgeschrieben worden sind. Daher gibt es in Polizeidienststellen, die davon besonders betroffen sind, speziell ausgebildete Polizistinnen und Polizisten, die eng mit der Leitung der Betreuungseinrichtungen zusammenarbeiten und die dort untergebrachten Jugendlichen betreuen“, berichtet Mayer. Auch für Angehörige und Betreuende von dementen oder hilfsbedürftigen Personen hat das KAP Präventionsarbeit geleistet. Damit die Polizei schnell die zielgerichtete Fahndung einleiten kann, werden Informationen benötigt, wie Personalien, Informationen über Aussehen, Statur, Medikation sowie mögliche Aufenthaltsorte.
„Betroffene können diese Daten bereits im Vorfeld in einem Formular festhalten, um sie im Bedarfsfall schnell an die Polizei weiterleiten zu können. Der Zeitfaktor spielt bei der Suche nach pflegebedürftigen Personen eine entscheidende Rolle“, merkt der Kriminalbeamte an.

Romana Tofan


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023

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