Gedenkstätten für Exekutivbeamte (20)

Tödliche Schüsse in der Lobau

Der Wiener Stadtschutzwachmann Heinrich Deml wurde 1920 in der Lobau ermordet aufgefunden. Das Verbrechen wurde zwei Jahre später geklärt. Ein Wegkreuz erinnert an den ermordeten Polizisten.

Deml-Kreuz in der Lobau: Erinnerung an den 1920 ermordeten Heinrich Deml
Deml-Kreuz in der Lobau: Erinnerung
an den 1920 ermordeten Heinrich Deml
© Werner Sabitzer

Der Stadtschutzwachmann Heinrich Deml, dienstzugeteilt zur Lobau-Ökonomie der Gemeinde Wien, und sein Kollege Leopold Ofner brachen am 11. April 1920 gegen halb vier Uhr früh zu einer Streife auf.
In der Lobau wurde immer wieder gewildert und Holz gestohlen, deshalb streiften hier Stadtschutzwachmänner. Deml wollte den oberen Teil der Lobau kontrollieren und Ofner den unteren Teil. Deml ging zu den Stallungen und zum Försterhaus und kontrollierte wie vorgesehen den Nachtwächter im Verwaltungsgebäude der Gutsverwaltung Lobau der Gemeinde Wien. Gegen vier Uhr hörte der Nachtwächter zwei Schüsse und einen Schrei.
Als Deml um sieben Uhr nicht in seine Dienststelle zurückkehrte, suchte man nach ihm. Rayonsinspektor Johann Stefan fand am Wegrand die Leiche Demls – mit einer Schusswunde im Kopf. An der Wunde befanden sich Pulvereinsprengungen, es handelte sich daher um einen Nahschuss. Neben der Leiche lagen eine Patronenhülse mit der Aufschrift „F. N.“, die aus einer 7,55-Millimeter-Pistole stammte, sowie ein deformiertes Bleimantelprojektil, das aber nicht zur Patronenhülse passte, sodass die Ermittler annahmen, dass aus zwei Waffen geschossen worden war. Das Projektil dürfte vermutlich vom Gewehr Demls oder von einem Mantelknopf abgeprallt sein. Im Gewehr befanden sich noch alle Patronen; der Stadtschutzwachmann hatte also nicht geschossen. In der Nähe der Leiche fanden die Polizisten drei Zigarettenstummel und eine Zigarettenhülse.

Sockelinschrift des Gedenkkreuzes in der Lobau in Wien-Donaustadt.
Sockelinschrift des Gedenkkreuzes in der Lobau in Wien-Donaustadt.
© Werner Sabitzer

Heinrich Deml, geboren am 24. Juni 1895 in Wien, war der Sohn des Kommandanten des Sicherheitswache-Postens Kagran. Er war im Ersten Weltkrieg bei der Kriegsmarine und war am 3. November 1918 in die neu geschaffene Wiener Stadtschutzwache eingetreten. Die Stadtschutzwache wurde nach dem Zusammenbruch der Monarchie Ende 1918 zur Unterstützung der Sicherheitswache gegründet. Sie war eine Gemeindewache, aber dem Wiener Polizeipräsidenten unterstellt. Die Stadtschutzwachleute sicherten öffentliche Gebäude, Lebensmittellager und -transporte, sowie Eisenbahn- und Industrieanlagen. Ein Stadtschutzwachmann von der Abteilung Stadlau, der in der Früh mit seinem Fahrrad zu seiner Dienststelle gefahren war, sagte aus, ihm seien gegen sieben Uhr auf der Kaisermühlenstraße beim Gasthaus Fischer drei Männer mit umgearbeiteter Militärkleidung und dunklen Sportkappen begegnet. Da sie keine Rucksäcke oder sonstiges Gepäck mitführten, hielt der Wachmann die Männer nicht an. Er fuhr kurz darauf zum Gasthaus zurück, traf aber die drei Männer nicht mehr an. Kurze Zeit später erhielten die Wachleute die Information, dass um halb drei Uhr früh aus einem Wirtschaftsgebäude in Wittau bei Groß-Enzersdorf zwei jeweils ca. 70 kg schwere Schweine, zehn Kilogramm Kartoffeln und sieben Flaschen Ribiselwein gestohlen worden waren. Die Polizisten vermuteten, dass Deml den Dieben in der Lobau begegnet und von ihnen erschossen worden sei.

Verhängnisvolle Auseinandersetzung.

Stadtschutzwachmann Heinrich Deml.
Stadtschutzwachmann Heinrich Deml.
© Polizeiarchiv Wien

Zwei Jahre nach der Bluttat feierten einige Männer mit Damenbegleitung in einer Weinhalle in der Wiener Vorstadt. Als zu später Stunde die Frau eines der Betrunkenen im Lokal auftauchte und ihren Mann zum Heimgehen aufforderte, kam es zu einem Streit, weil der Mann die Nacht mit einer anderen Frau verbringen wollte. Als die eifersüchtige Ehefrau von den Betrunkenen beschimpft und misshandelt wurde, rief sie ihnen sinngemäß zu: „Ihr Verbrecher, ihr ghört´s schon lange ins Landesgericht. Glaubt´s, die Lobau bleibt euch geschenkt?“
Ein Kriminalbeamter erfuhr von dieser Auseinandersetzung und vom Ausspruch der Frau und forschte die Teilnehmer des Zechgelages aus. Einer von ihnen war ein Berufseinbrecher und 48-mal vorbestraft. Ein weiterer Mann wurde kurz darauf bei einem Kellereinbruch überrascht. Dabei schoss er auf die Polizisten. Beim Schützen wurde eine F.-N.-Pistole sichergestellt. Der Kriminalbeamte nahm an, dass die drei Männer, die dem Wachmann beim Gasthaus Fischer begegnet waren, den Diebstahl in Wittau verübt hatten und auf dem Rückweg von Deml angehalten worden waren. Die Weg-/Zeitüberprüfung passte.
Am 6. April 1922 wurden die Verdächtigen und ihre Frauen verhaftet. Den Ermittlern gelang es, zunächst den Frauen und später auch den Männern Geständnisse zu entlocken. Der Mord in der Lobau konnte geklärt werden. Demnach stahlen vier Bandenmitglieder in der Nacht auf den 11. April 1920 in Wittau die beiden Schweine, Kartoffel und Wein. Sie zerlegten die Schweine und verstauten die Beute in ihren Rucksäcken. Auf dem Weg durch die Lobau wurden sie vom Stadtschutzwachmann Deml kontrolliert. Als er in den Rucksäcken die Beute entdeckte und die Männer aufforderte, mit ihm zum Wachzimmer zu gehen, ersuchten ihn die Diebe, sie laufen zu lassen und boten ihm den gestohlenen Ribiselwein zum Trinken an. Als der Wachmann sein Gewehr von der Schulter nahm, schoss ihm einer der Diebe mit einer Faustfeuerwaffe in den Kopf. Deml sank zu Boden und die Männer flüchteten. Einer von ihnen kehrte kurz darauf zurück, um nachzusehen, ob Deml noch lebte und schoss mit einem Revolver auf den am Boden liegenden Polizisten. Bei der Napoleon-Schanze versteckten die Täter die Rucksäcke. Der Mörder Demls ging zur Straßenbahn nach Stadlau weiter und seine drei Komplizen marschierten entlang des Bahndammes, wo sie beim Gasthaus Fischer auf den Wachmann trafen. Als dieser kurze Zeit später zurückkam, versteckten sich die drei Kriminellen. Einer der Männer fuhr später mit seiner Frau und zwei weiteren Frauen in die Lobau, um die Rucksäcke zu holen, fand sie aber nicht. Daraufhin kehrte der Mann nach Wien zurück, um einen Komplizen zu holen.
Die Frauen warteten inzwischen im Gasthaus „Zum roten Hiasl“. Als die beiden Männer beim „Roten Hiasl“ eintrafen, erzählten sie den Frauen vom Mord in der Lobau, fanden die Rucksäcke und fuhren mit der Straßenbahn in die Stadt zurück.
Stefan Holik, der Deml in den Kopf geschossen hatte, wurde am 14. November 1922 wegen Totschlags und schweren Einbruchs zu sieben Jahren Kerker verurteilt. Sein Komplize Friedrich Marzial, der zurückgegangen war und einen Schuss auf den bereits Toten abgegeben hatte, erhielt eine sechsjährige Kerkerstrafe.

Gedenkkreuz am Wegrand.

In Erinnerung an den ermordeten Stadtschutzwachmann Heinrich Deml wurde 1921 am Tatort in der Vorwerkstraße in der Nähe des Lobauhofs in Wien-Donaustadt am Wegrand ein Metallkreuz errichtet. Auf dem Sockel befindet sich die Inschrift: „HEINRICH DEML / STADTSCHUTZWACHMANN / GEB. 24.6.1895 / IN AUSÜBUNG DES DIENSTES / AM 11.4.1920 ERMORDET“. Das Gedenkkreuz wurde Ende 1975 restauriert.

Werner Sabitzer

Quellen/Literatur:
Dehmal, Heinrich u. a.: Der österreichische Bundes-Kriminalbeamte. Gedenkwerk anlässlich des 80jährigen Bestandes des Kriminalbeamtenkorps Österreichs. Herold, Wien, 1933; S. 235-239.
Oberhummer, Hermann: Die Wiener Polizei. 200 Jahre Sicherheit in Österreich, Band I. Wien, 1938.
Sabitzer, Werner: Polizistenmord in der Lobau. In: Öffentliche Sicherheit, Nr. 9-10/2014, S. 44-45.
Tötung eines Stadtschutzmannes. In: Wiener Zeitung, 12. April 1920, S. 4.

 


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023

Druckversion des Artikels (PDF 884 kB)