Strafrecht

Schnellere Verfahren?

Experten aus Wissenschaft, Justiz, Finanz und Wirtschaft widmeten sich bei einer Veranstaltung in Wien der „Verfahrensbeschleunigung in Wirtschafts- und Finanzstrafverfahren“.

Netzwerktreffen: Roman Leitner, Rainer Brandl, Stefan Menhofer, Florian Ufer, Robert Kert, Alexander Tipold, Friedrich Forsthuber
Netzwerktreffen: Roman Leitner, Rainer Brandl, Stefan
Menhofer, Florian Ufer, Robert Kert, Alexander Tipold,
Friedrich Forsthuber © Linde Verlag Ges.m.b.H/APA-
Fotoservice/Schedl

An dem von der Zeitschrift für Wirtschaft- und Finanzstrafrecht (ZWF) veranstalteten Netzwerktreffen nahmen rund 70 Gäste aus Justiz, Finanz, Wirtschaft und Wissenschaft teil. Am Podium wurden Möglichkeiten einer Verfahrensbeschleunigung in Wirtschafts- und Finanzstrafverfahren diskutiert. Univ.-Prof. Dr. Robert Kert, WU Wien, übernahm die Einleitung und Moderation der Veranstaltung: Obwohl der Ruf nach kürzeren Verfahren, die teilweise nach 14 Jahren noch immer nicht abgeschlossen seien, sehe es für ihn nicht danach aus, dass der Gesetzgeber dies im Rahmen einer Strafrechtsreform aufgreifen werde.

„Zug zum Tor“.

Univ.-Prof. Dr. Alexander Tipold, Universität Wien, zeichnete ein Bild der Geschichte des zeitlos modernen Themas der Verfahrensbeschleunigung in Strafsachen in der Literatur und auf Konferenzen von 2008 (Gesellschaft für Wirtschaft und Recht) über 2012 (Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit) bis 2022 (Rechtpanorama). Laut Tipold fehle bei der Verfahrensbeschleunigung der „Zug zum Tor“.
Überlange Prozesse wie der BUWOG-Prozess seien eine finanzielle Belastung für die Republik Österreich sowie die Beschuldigten und erhöhten den Erfolgsdruck auf die Jus­tiz. Die Regelung der Überprüfung der Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens (§ 108a StPO) führe zu Verfahrensverzögerungen. Mandatsverfahren würden sich nicht für Wirtschaftsverfahren eignen. Mehr Flexibilität bei der Verfahrensstraffung müsse diskutiert werden. Die Ermittlung der materiellen Wahrheit können nicht durch eine Verfahrensabsprache ersetzt werden – dies wäre derzeit Amtsmiss­brauch. Die Wahrheitsforschung dürfe für Tipold nicht der Verfahrensbeschleunigung geopfert werden. Im Hinblick auf das Datenschutzrecht werde zu weitgehend Einsicht in Strafakte genommen.

„Zu wenig Transparenz“.

Rechtsanwalt Dr. Florian Ufer, Ufer Scharf Rechtsanwälte, berichtete über den „VW-Abgas-Skandal“ in Deutschland: Es ging um 424.000 Betrugsverfahren, die maximal zwei Jahre dauern durften. Die Einstellung des Verfahrens war in Deutschland durch Zahlung einer Geldsumme unter gewissen gesetzlich normierten Auflagen mit Information der Öffentlichkeit möglich. In der Praxis gebe es weiterhin informelle Absprachen des Gerichts mit dem Verteidiger und nach Ansicht Ufers „zu wenig Transparenz“.

Gericht für Wirtschaftsstrafrecht.

Mag. Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, brachte den Blick der Justiz in die Diskussion ein: Die Strafrechtsreform 2008 habe – bis auf den Bereich der großen Wirtschaftsstrafverfahren – gut funktioniert. Forsthuber forderte in seinem Statement ein eigenes Gericht für Wirtschaftsstrafrecht (zum Beispiel angesiedelt am Oberlandesgericht) und eine bessere Entlohnung für die im Wirtschaftsstrafrecht beschäftigten Richter, da diese im Vergleich mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft weniger verdienen würden und teilweise „überlastet oder für neue Verfahren gesperrt“ seien.

Anpassung der Betragsgrenzen.

Hon.-Prof. Dr. Roman Leitner und Dr. Rainer Brandl, beide von der Wirtschaftsprüfer- und Steuerberater-Kanzlei „LeitnerLeitner“, berichteten darüber, dass von den 5.000 bis 10.000 Finanzstrafverfahren in Österreich jährlich etwa 2.000 gerichtsanhängig seien. Eine Gerichtszuständigkeit bestehe grundsätzlich bei vorsätzlich begangenen Finanzvergehen, wenn der strafbestimmende Wertbetrag 100.000 Euro (bei Nichtzollvergehen) bzw. 50.000 Euro (bei Zollvergehen) übersteige. Zu begrüßen wäre für die Steuerberater eine Anpassung der Betragsgrenzen an die Inflation (300.000 Euro bei Nichtzollvergehen). Es solle „keine Denkverbote im Hinblick auf die Verfahrensbeschleunigung“ geben. So könnten eine reduzierte Sachverhaltsdarstellung oder auch das Instrument der Diversion für Finanzvergehen eingeführt werden.

Helgo Eberwein


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023

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