Personenkontrollen

Kontrollen an „gefährlichen Orten“?

Die Konstruktion „gefährlicher Orte“ und die zunehmende Relevanz der Kategorie „Raum“ innerhalb der Polizeiarbeit wird teilweise kritisiert.

Andreas Ruch von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen hat sich in einem Artikel aus 2022 mit der Befugnis zur Identitätsfeststellung an „gefährlichen Orten“ und der damit einhergehenden Begünstigung des „Racial Profilings“ in Deutschland beschäftigt. Er kritisiert, dass eine Vorschrift geschaffen wurde, die einen erhöhten polizeilichen Kontrolldruck rechtfertigt, von dem vor allem Menschen nicht weißer Hautfarbe betroffen sind. In Deutschland können an „gefährlichen Orten“ (in den unterschiedlichen Gesetzen auch kriminalitätsbelastete Orte, Gefahrenorte, Kriminalitätsbrennpunkte etc. genannt) – gemäß den jeweiligen Normen zur Identitätsfeststellung in den Landespolizeigesetzen – Kontrollen durchgeführt werden, ohne dass eine Person ein bestimmtes Verhalten gesetzt hat, das eine Gefahr oder einen Verdacht begründen könnte.

Gefährliche Orte.

Einzelne Polizeibehörden entscheiden dabei auf Basis polizeilicher Lagebilder und Statistiken, ob Räume wie Wohnsiedlungen oder Plätze etc. zu „gefährlichen Orten“ erklärt werden. In Ermangelung gesetzlicher Grundlagen bleiben Kriterien, weshalb ein „gefährlicher Ort“ als solcher definiert wird, in der Regel unveröffentlicht und daher intransparent. Innerhalb der Gefahrengebiete sind verdachtsunabhängige, anlasslose Personenkontrollen möglich. Da in den meisten Landespolizeigesetzen zudem keine Verpflichtung zur Dokumentation des Anlasses und der Begleitumstände einer Personenkontrolle verankert ist, ist eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung nur schwer möglich. Ruch und andere Autorinnen und Autoren (vgl. Ullrich/Tullney 2012; Belina/Wehrheim 2011) weisen darauf hin, dass „gefährliche Orte“ nicht unbedingt objektiv gefährlich sind. Vielmehr können diese – als kriminalitätsbelastet definierten – Orte ein Produkt von Prozessen der Sichtbarmachung, Thematisierung und letztlich der sozialen Konstruktion von Bedrohung sein. Beispielsweise könne die Kriminalisierung von Räumen z. B. mit Wahlkämpfen im Zusammenhang stehen.

Kontrollen würden generell häufiger Personen betreffen, die aus Sicht der Polizei von traditionellen Ordnungsvorstellungen abweichen. Grundlage der Polizeiarbeit bilden somit kriminalisierte Räume und nicht Praktiken, Subjekte oder Gruppen. Betroffene sind die Menschen, die sich sichtbar in diesen Räumen aufhalten. Häufig handelt es sich bei „gefährlichen Orten“ um Sozialräume, die als sozial benachteiligt gelten und durch einen hohen Anteil an Bewohnerinnen und Bewohnern mit Migrationserfahrung geprägt sind. Weil diese Menschen an „gefährlichen Orten“ leben, arbeiten, soziale Kontakte pflegen oder ihre Freizeit dort verbringen, sind sie einer erhöhten Gefahr einer Kriminalisierung ausgesetzt.
Studien würden belegen, dass Menschen nicht weißer Hautfarbe tendenziell häufiger kontrolliert werden als weiße Personen. Das Risiko, einer Kontrolle ausgesetzt zu sein, werde somit nochmals durch die Tatsache erhöht, dass Menschen nicht weißer Hautfarbe ihren Wohnsitz häufiger in Gegenden haben, die in der polizeilichen Wahrnehmung als kriminalitätsbelastet gelten und zum „gefährlichen Ort“ erklärt werden. Ein sozialräumliches Ordnungsbild erschwert somit eine diskriminierungsfreie Gefahrenprognose.
Zu einer Wechselwirkung zwischen „gefährlichen Orten“ und dort erfolgten Kontrollen komme es, weil in „gefährlichen Orten“ verdachtsunabhängige Kontrollen ermöglicht werden, was wiederum die Vorstellung von der Gefährlichkeit bestimmter Gebiete prägt. Autor Ruch kritisiert hierbei, dass „gefährliche Orte“ es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, das Recht nach Belieben auszulegen. Dabei hat nicht mehr der Staat zu rechtfertigen, weshalb ein bestimmtes Verhalten einen Verdacht begründet. Hält sich eine Person an einem Ort auf, der von der Polizei mit Straftaten in Verbindung gebracht wird, kommt vielmehr diese Person in Erklärungsnot. Liege dem Handeln der Polizeibediensteten zusätzlich stereotype Einstellungen zu Grunde, könne dies zur Diskriminierung bestimmter Gruppen führen.
Ursprünglich war in Deutschland intendiert, eine restriktive Norm zu schaffen, die verdachtsunabhängige Razzien in eng definierten Räumen ermöglicht. Die Polizeibehörden würden aber immer mehr dazu neigen, ganze Siedlungen, Vergnügungsgebiete, Parks etc. als „gefährlich“ zu definieren. Ruch spricht sich für transparentes, polizeiliches Handeln und einen effektiven Rechtsschutz aus, um diskriminierungsfreie Interaktionen zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten. Hierfür sei es wichtig, dass polizeiliche Entscheidungsprozesse zur Definition „gefährlicher Orte“ transparent und überprüfbar dargelegt werden. Dadurch werde auch das Vertrauen zwischen Polizei und Gesellschaft gestärkt.

Rechtsvergleich mit Österreich

Die entsprechenden Normen in den deutschen Landespolizeigesetzen ermöglichen verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen in festgelegten sozialen Räumen, die in Verbindung mit der Begehung von Straftaten stehen oder einem besonderen Kontrollinteresse aus sonstigen Gründen unterliegen. Dabei erfolgt die Festlegung von Räumen als „gefährliche Orte“ teilweise mit, teilweise ohne zeitliche Beschränkung. Es gibt kein einheitliches Vorgehen dazu, ob die Öffentlichkeit über die jeweiligen „gefährlichen Orte“ in Kenntnis gesetzt wird. Die deutschen Bestimmungen weichen in den Bundesländern voneinander ab. Es wird aber auf ähnliche Vorkommnisse Bezug genommen, etwa Vorbereitungen von Straftaten, verborgener Aufenthalt von Straftätern, Verstöße gegen Aufenthaltsregelungen etc. Teilweise bilden in Deutschland allgemeine Erfahrungen (die keine konkreten Tatsachen verlangen), teilweise tatsächliche Anhaltspunkte („Tatsachen rechtfertigen die Annahme“) die Ermächtigungsgrundlage.

Sicherheitspolizeigesetz.

In Österreich sind im Vergleich mit Deutschland, Identitätsfeststellungen an verdächtigten Orten nur bei Vorliegen eines dringenden Verdachts gegen einen bestimmten Ort möglich
In Österreich sind im Vergleich mit Deutschland,
Identitätsfeststellungen an verdächtigten Orten nur bei
Vorliegen eines dringenden Verdachts gegen einen
bestimmten Ort möglich © Gerd Pachauer

. In Österreich enthält das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) in § 35 Abs 1 Z 2 SPG eine entsprechende Befugnisnorm zur Identitätsfeststellung aller Personen, die sich an bestimmten Orten aufhalten. Einer Identitätsfeststellung im Sinne dieser Bestimmung kann potenziell jede Person unterliegen, die sich an einem der dort bezeichneten Orte aufhält. Anknüpfungspunkt ist nicht ein konkreter Verdacht gegen eine Person, sondern näher bestimmte „verdächtigte Orte“, zu denen der dringende Verdacht (= hohe Wahrscheinlichkeit, bloße Annahme reicht nicht aus) eines bestimmten Sachverhalts besteht. Im Sinne dieser Norm darf sohin die Identität von Personen festgestellt werden, die sich an einem Ort aufhalten, an dem der dringende Verdacht besteht, dass sich da mit beträchtlicher Strafe bedrohte Handlungen (Strafdrohung über ein Jahr Freiheitsstrafe) ereignen (Z 1) oder sich flüchtige Straftäterinnen und Straftäter oder flüchtige Verdächtige verbergen. So kann zum Beispiel der Aufenthalt in einem einschlägig bekannten Lokal oder in einem Wohnhaus zu einer Identitätsfeststellung im Sinne von § 35 Abs 1 Z 2 SPG führen.

Identitätsfeststellungen, die aufgrund des Aufenthalts an einem bestimmten Ort im Sinne des § 35 Abs 1 Z 2 SPG möglich sind, knüpfen somit an einen dringenden Verdacht an. Ein Verdacht besteht, wenn „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen“, bei einem dringenden Verdacht wird eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Annahme verlangt. In Österreich sind somit im Vergleich mit Deutschland, Identitätsfeststellungen an verdächtigten Orten aus­schließlich bei Vorliegen eines dringenden Verdachts gegen einen bestimmten Ort möglich.

Schutzzonen.

Im österreichischen Sicherheitspolizeigesetz existiert in § 36a die Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden, Schutzzonen per Verordnung einzurichten. Diese können in einem Umkreis von 150 Metern von Schutzobjekten (Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und ähnlichen Einrichtungen) festgelegt werden. Die Verordnung darf grundsätzlich nur für maximal 6 Monate (neuerliche Verordnung möglich) in diesem Bereich eingerichtet werden. Zweck ist es, minderjährige Personen, die in diesen Gegenden besonders durch die Begehung von Straftaten nach dem StGB, SMG oder VerbotsG bedroht sind, zu schützen. Innerhalb der festgelegten Schutzzonen ist ex lege die Feststellung der Identität von „Gefährdern“, deren Wegweisung und der Ausspruch eines zeitlich befristeten (Wieder-) ­ Betretungsverbots möglich. Die Wegweisung ist gegen­über Menschen möglich, gegen die der begründete Verdacht besteht, dass sie die genannten Straftaten begehen werden. Es muss also aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt sein, dass eine Person strafbares Verhalten innerhalb einer Schutzzone begehen werde. Diese bestimmten Tatsachen können etwa vorangegangene gefährliche Angriffe einer Person gewesen sein. Aber auch andere Gesichtspunkte wie z. B. grundloser Aufenthalt in der Schutzzone oder die nachweisliche Zugehörigkeit zu einer kriminellen Szene können berücksichtigt werden. Die Wegweisung hat mit der Verhängung eines Betretungsverbotes einherzugehen. Ist es für die Verhängung und Durchsetzung eines Betretungsverbots notwendig, ist eine Identitätsfeststellung (gem. § 35 Abs 1 Z 8 SPG) möglich. Im Unterschied zur deutschen Rechtslage muss in Österreich auch eine geeignete Kundmachung der Verordnung erfolgen. Personen, die von dieser Schutzzone betroffen sein können, müssen von der Einrichtung der Zone bspw. durch Aushänge in der Schutzzone und deren Umgebung Kenntnis erlangen können. Es gelten somit spezielle Kundmachungserfordernisse, eine Kundmachung an Amtstafeln oder Amtsblättern genügt nicht. Die Bedrohung für minderjährige Personen muss von der Behörde vor Einrichtung der Schutzzone geprüft werden. Eine Anregung auf Erlassung einer Schutzzone muss begründet werden. Die Dauer der Verordnung und deren Inkrafttreten sind zudem festgelegt. Die Identitätsfeststellung im Sinne des § 35 Abs 1 Z 8 SPG erfordert daher eine entsprechende Verordnung, die auch kundgemacht wurde.
Die Normen in Österreich zu möglichen Identitätsfeststellungen, die einerseits an „verdächtigte Orte“ (§ 35 Abs 1 Z 2 SPG), andererseits an Schutzzonen (§ 35 Abs 1 Z 8 SPG) anknüpfen, erfordern – anders als in Deutschland – einen dringenden Verdacht bzw. eine entsprechend kundgemachte Verordnung. Auch wenn die Normen in Österreich somit restriktiver sind, bleiben diese Bestimmungen nicht ohne Kritik. Häufig soll das Ziel der Einrichtung von Schutzzonen verfehlt werden und Minderjährige und Kinder – aber auch z. B. Wohnungslose oder Suchtkranke – Räume, die zur Schutzzone erklärt wurden, meiden, wodurch aus dem sozialen Raum gedrängt werden würden. Die Berücksichtigung von anderen Gesichtspunkten zur Berechtigung zur Identitätsfeststellung im Sinne von § 35 Abs 1 Z 8 SPG, aber auch die Möglichkeit gem. § 35 Abs 1 Z 2 SPG Identitätsfeststellungen bei allen Personen durchführen zu können, die sich an bestimmten verdächtigten Orten aufhalten, führt auch in Österreich zum Vorbringen, dass sich Polizeibedienstete von Vorurteilen und verinnerlichten Stereotypen leiten lassen könnten und damit diese Befugnisnormen, wenn auch unbewusst, ebenso „Racial Profiling“ begünstigen könnten.

Clara Millner


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2023

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