Menschenhandel

Ausbeutung in Scam-Centern

Qualifizierte Arbeitskräfte werden in Asien mit lukrativen Jobangeboten angeworben. Das Lockangebot ist eine Falle: Sie werden gezwungen, in Scam-Centern Menschen online zum Kauf vermeintlich erfolgreicher Anlageprodukte zu überreden und betrügen sie um ihr Geld.

Online-Scamming: Arbeitskräfte in Asien werden gez
Online-Scamming: Arbeitskräfte in Asien werden gezwungen, zu Opfern eine emotionale Beziehung aufzubauen, um sie dann auszunehmen; die Opfer befinden sich in westlichen Staaten © DC Studio - stock.adobe.com/ЕВГЕНИЙ ШЕМЯКИН - stock.adobe.com

Neben der „Arbeitsausbeutung in Scam-Centern“ wird für diese neue Kriminalitätsform der Begriff „Pig-Butchering“ verwendet: Erst fettgefüttert, dann geschlachtet – wie ein Schwein. Die mit lukrativen Jobangeboten geköderten Asiaten werden gezwungen, auf sozialen Medien Profile anzulegen, dann Menschen zu kontaktieren und mit ihnen eine emotionale Beziehung aufzubauen. Sie nutzen dieses Vertrauensverhältnis aus, um das Opfer zu überreden, in Krypto-Währungen über eine Online-Plattform zu investieren. Das ergaunerte Geld wird häufig über digitale Zahlungsplattformen transferiert, was die Nachverfolgung erschwert.

Erste Fälle in Österreich.

Anfang 2020 wurde in Österreich der erste Fall von „Pig-Butchering“ bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Die Tendenz ist steigend: 2023 wurden bis 13. September 83 Fälle mit einem Gesamtschaden von rund 3,7 Millionen Euro angezeigt. Im Durchschnitt wurden die Betroffenen um rund 44.500 Euro geschädigt.

Vorgehen.

In der Anbahnungsphase werden die Geschädigten von den Tätern instruiert, sich bei legitimierten Handelsplattformen zu registrieren und dort Kryptowährungen zu kaufen. Mit dem Versprechen, hohe Renditen und Profite durch Investitions- bzw. Tradingmöglichkeiten erzielen zu können, werden die Opfer dazu gebracht, die erstandenen Vermögenswerte an die Krypto-Adressen der Täter zu transferieren. Diese sind Plattformen, die den Geschädigten vermeintliche Gewinne vorgaukeln.
Zu Beginn werden von den Opfern noch kleinere Summen „investiert“, die Täter täuschen bereits hohe Gewinne vor. Um das Vertrauen zu stärken, werden anfangs kleine Gewinnerträge überwiesen. Im weiteren Verlauf pochen die Täter auf höhere Investitionssummen. Wenn sich die Geschädigten nach einer Zeit die vermeintlichen Gewinne jedoch ausbezahlen lassen wollen, wird ihnen von „Hürden“ berichtet. Diese können vermeintliche Managementgebühren sein, Steuernachzahlungen, die Notwendigkeit eines VIP-Kundenkontos oder dergleichen, doch letztendlich geht es den Tätern darum, ihre Opfer zu weiteren Zahlungen zu bewegen. Zumeist gehen die Betroffenen auf die Forderungen ein und begleichen sie.

Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung.

Geschädigte bemerken oft erst sehr spät, dass sie Opfer eines Betrugs geworden sind. Dementsprechend viel Zeit vergeht zwischen der Überweisung und der Kenntnisnahme der Polizei bzw. den ersten Ermittlungen, wodurch die Täter im Vorteil sind. Sie können in aller Ruhe die illegal lukrierten Gelder durch komplexe Geldwäsche- und Transaktionshandlungen über mehrere Wallets reinwaschen, was die Sicherstellung der inkriminierten Kryptowährungen für die Polizei erschwert.

Täter und Opfer zugleich.

Ein Ende August 2023 vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) veröffentlichter Bericht zum Thema „Online-Scam und Menschenhandel für zwangsweise Kriminalität in Südostasien“ sieht bei dieser neuen Kriminalitätsform zwei Arten von Opfern: Jene Geschädigte, die durch diese Online-Kriminalität betrogen wurden und somit finanziell Opfer des Scams wurden. Je tiefer Opfer finanziell und emotional in den Betrug gezogen werden, desto schwieriger ist es für sie, den Betrug zu erkennen und sich aus der Situation zu befreien. Oft verlieren diese Personen ihre gesamten Ersparnisse, nehmen Schulden auf und erleiden zudem Scham und Stigma, dass sie „gescammed“ wurden.

Körperliche Züchtigung.

Auf der anderen Seite stehen jene Personen, die in diese Scam-Arbeitsverhältnisse gezwungen werden und unmenschliche Arbeitsverhältnisse unter Verletzung ihrer eigenen Menschenrechte erleiden. Es handelt sich laut UNHCR meistens um Menschen, die Opfer von Menschenhandel wurden und um Migranten in prekären Lebensverhältnissen. Analog zu herkömmlichen Menschenhandel-Fällen werden Opfer mit falschen Versprechungen gelockt, ihnen wird der Reisepass abgenommen und sie werden oft illegal über eine Grenze gebracht. Sie werden eingesperrt und gezwungen, ihre Schulden an die Täter zurückzuzahlen. Sie erfahren physischen und psychischen Missbrauch, Folter; soziale Interaktion wird verboten, ihnen stehen keine arbeitsfreien Tage zu und bei Zuwiderhandeln, droht ihnen Züchtigung – etwa mit Elektroschock. Dabei kommt es immer wieder vor, dass Opfer in ihrer Verzweiflung Suizid begehen oder sich bei einem Fluchtversuch verletzen (etwa bei einem Sprung aus dem Fenster).

Die meisten der in Scam-Centern Missbrauchten sind Männer, wobei auch Kinder unter den Opfer sein können. Nur eine geringe Zahl der Opfer sind Staatsbürger des Landes, in dem der Missbrauch passiert. In den meisten Fällen sind die Opfer aus asiatischen Ländern, speziell aus Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam, China (auch Hongkong, Taiwan) sowie aus Ländern Südasiens (Bangladesch, Indien, Nepal, Pakistan), Ostafrika (Äthiopien, Kenia, Tansania), Ägypten, Türkei und auch Brasilien.
Laut bisher erfassten Opferprofilen haben diese – im Gegensatz zu herkömmlichen Opfern von Menschenhandel, wie etwa zur sexuellen Arbeitsausbeutung – einen gehobenen Bildungsgrad. Typischerweise sind sie zwischen 20 und 25 Jahren alt und computer-affin. Viele Opfer können mehrere Sprachen, wobei Englisch und Chinesisch Schlüsselsprachen sind. Aufgrund ihres Bildungsgrades verfügen die Opfer über Detail- und Fachwissen und können glaubhaft über Investitionsschemata oder Kryptowährungen sprechen.

Glücksspiel, vor allem Online-Glücksspiel, ist zu unterschiedlichem Umfang in China, Kambodscha, Thailand und Laos verboten. Seit 2016 gab es Bemühungen Glücksspiel-Centers zu schließen, wobei diese ihre Örtlichkeit änderten (oft in Sonderwirtschaftszonen im Grenzbereich von Ländern abwanderten) und sich den geänderten Rahmenbedingungen anpassten – oft mithilfe Unterstützung von kriminellen Gruppierungen. Zwischen 2014 und 2019 ist beispielsweise die Anzahl von Casinos in Kambodscha um 163 Prozent angestiegen: von 57 in 2014 auf 150 im Jahr 2019. Ähnliche Glücksspiel-Zentren bestanden bereits zuvor für etwa ein Jahrzehnt in Kambodscha, wobei nach 2016 ein drastischer Anstieg dieser Einrichtungen beobachtet wurde. In Myanmar, wo Akteure organisierter Kriminalität seit vielen Jahren tätig sind, hat sich die Situation seit dem Militärcoup im Land im Februar 2021 deutlich verschlechtert. Anhaltende Konflikte und Waffengewalt haben zu einem Rückgang der Rechtsstaatlichkeit geführt, wodurch es zu einem exponenziellen Anstieg krimineller Aktivitäten kam – ein idealer Nährboden für die Einrichtung von Scam-Centern.

Migranten als Opfer.

Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zur Beschränkung der Covid-19-Pandemie hatten gravierende Auswirkungen auf Glücksspielstätten in der gesamten Region. Betreiber von Casinos wanderten in weniger regulierte Gegenden ab, weshalb sie sich dem mehr und mehr lukrativen Online-Bereich zuwandten. Mangels neuer Arbeitskräfte (auch im Zusammenhang mit den strikten Reisebeschränkungen aus China) wandten sich die kriminellen Gruppen Migranten zu, die aufgrund der Pandemie in den Ländern gestrandet und – aufgrund Grenz- und Geschäftsschließungen – beschäftigungslos waren.
Aufgrund mangelnder Arbeitsperspektiven in vielen Ländern, etwa für gebildete Studienabgänger, war es für die kriminellen Gruppierungen vergleichsweise leicht, unter betrügerischen Versprechungen qualifizierte Arbeitnehmer anzuwerben. Zudem befeuerte das Phänomen, dass aufgrund der Pandemie Millionen Menschen mehr Zeit als sonst üblich zu Hause und online verbrachten und sie zu noch leichteren Opfern für Online-Betrug machten. Während 2021-2022 die Covid-Maßnahmen in Südostasien zurückgenommen wurden, war es für die kriminellen Gruppen weiterhin leicht, die finanzielle Notlage vieler Opfer nach der Pandemie auszunutzen und sie unter Versprechungen zu rekrutieren.

Weltweit 7,8 Milliarden US-Dollar Schaden.

Online-Scamming wurde zu einem profitablen Geschäftszweig. UNHCR bezieht sich in seinem Bericht auf Schätzungen, wonach alleine 2021 durch Online-Scamming weltweit Krypto-Währungen in der Höhe von 7,8 Milliarden US-Dollar gestohlen wurden. Alleine in Südostasien erwirtschaften Scam-Center jährlich Milliarden US-Dollar. Laut Angaben im kürzlich veröffentlichten UNHCR-Bericht wird angenommen, dass zumindest 120.000 Menschen in Myanmar und zumindest 100.000 Menschen in Kambodscha festgehalten und für Online-Scam missbraucht werden. Auch die Philippinen, Thailand und Laos sind betroffen, wo zumindest Zehntausende Opfer vermutet werden. Jason Tower vom US Institute of Peace in Washington, der zum Thema auch eine Studie veröffentlicht hat, schätzt, dass seit Jänner 2023 etwa 70.000 chinesische Staatsbürger nach Südostasien gebracht wurden, um in Online-Scamcentern zu arbeiten.

Asien und der Menschenhandel.

Die Länder Südostasiens haben langjährige Erfahrungen bei Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel. In der Vergangenheit waren sie vor allem von Menschenhandel als Herkunftsstaat von Opfern betroffen. Neu ist, dass sie durch die Entwicklungen in den vergangenen Jahren nun auch Zielländer von Menschenhandel geworden sind: Opfer von Menschenhandel werden in ihre Länder gebracht, um dort in den Scam-Centern missbraucht und ausgebeutet zu werden. Thailand ist nun auch als Transitland betroffen: Opfer reisen nach Thailand und werden von dort über die „grüne Grenze“ in ein Nachbarland gebracht. Erschwerend für Grenzschutzbeamte kommt hinzu, dass aufgrund der Visa-Freiheit innerhalb der ASEAN-Staaten Behörden einen erschwerten Zugang zu diesen Nationalitäten haben bzw. nur eine geringe Vorsensibilisierung besteht, diese Personen bei Einreise und Aufenthalt auf Vorliegen von Menschenhandel zu prüfen.
Hinzu kommt, dass aufgrund langer und poröser Landgrenzen zwischen vielen Ländern Südostasiens verschiedene Formen von Mobilität bestehen, etwa über irreguläre Wege mithilfe von Menschenschmugglern. Diese Voraussetzungen erschweren Maßnahmen auf Behördenseite, gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung in Scam-Centern vorzugehen.

 


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2023

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