Kriminalgeschichte

Vier Jahre Bombenterror

Vor 30 Jahren begann eine Anschlagserie mit Briefbomben und Sprengfallen, die Österreich vier Jahre lang in Angst versetzte. Die „Causa Briefbomben“ war einer der aufsehenerregendsten und aufwendigsten Kriminalfälle in Österreich.

Briefbombe; Sockel der Sprengfalle von Oberwart: Die Bomben von Franz Fuchs forderten vier Tote und 15 Verletzte
Briefbombe; Sockel der Sprengfalle von Oberwart: Die Bomben von Franz Fuchs forderten vier Tote und 15 Verletzte © BMI

Für die beiden Gendarmeriebeamten Arno Schreiner und Bernhard Schwarz war es ein Routineeinsatz. Zwei Frauen hatten sich am 1. Oktober 1997 im südsteirischen Ort Gralla belästigt gefühlt. Ein Mann war in einem Kombi dem Auto der Frauen gefolgt und hatte sich seltsam benommen. Die beiden Gendarmen sahen den Pkw des Unbekannten vor einem Haus, stellten den Streifenwagen ab und stiegen aus. Schwarz stellte sich hinter den Kombi, Schreiner ging zur Fahrerseite und ersuchte den Autofahrer um seine Fahrzeugpapiere. Der Angesprochene zögerte, stieg aus, hielt dem Beamten ein Paket hin und sagte: „Da habt's.“
Plötzlich gab es einen Blitz und einen lauten Knall. Schreiner griff sich an sein verletztes Auge. Der Autolenker lief davon, Bernhard Schwarz verfolgte ihn. Auch Schreiner, vom Schock erholt, lief dem Unbekannten nach. Die beiden Gendarmen gaben mehrere Warnschüsse ab. Schließlich holten sie den Flüchtenden ein. Beim Versuch, ihm die Handfesseln anzulegen, bemerkte Schwarz, dass es dem Mann beide Hände weggerissen hatte.
Erst jetzt registrierten die Gendarmeriebeamten die Gefährlichkeit der Amtshandlung: Der Angehaltene hatte einen Sprengkörper gezündet. Splitter hatten sich in das rechte Auge Arno Schreiners gebohrt, sein rechter Unterarm war von Stahlstiften des Sprengkörpers zerschnitten, im rechten Oberschenkel steckte ein zwei Zentimeter großer Splitter und auf dem Kopf befanden sich Brandwunden. Sein Kollege Schwarz hatte leichtere Verletzungen am Bauch und am rechten Oberschenkel erlitten.
Kurze Zeit später traf Verstärkung ein. Der Festgenommene wurde als Franz Fuchs identifiziert, ein zurückgezogen lebender Mann aus Gralla in der Südsteiermark. Beamte des Entschärfungsdienstes fanden in seiner Wohnung im Elternhaus Schaltpläne, Zeitverzögerungseinrichtungen, Nitroglycerin und andere Bombenteile. In einem Blumentopf befand sich eine Sprengfalle mit Verzögerungszünder. Im Topf lag ein Zettel mit der Aufschrift: „Wir wehren uns – Friedrich der Streitbare“.
Nach den ersten Untersuchungen der sichergestellten Gegenstände und den folgenden Ermittlungen war für die Exekutivbeamten klar: Die Routinekontrolle der beiden Gendarmeriebeamten hatte zur Verhaftung des mutmaßlichen Brief- und Rohrbombenattentäters geführt, der mit sechs Briefbombenserien und drei Sprengfallen seit 1993 Österreich in Angst versetzt hatte. Eines der aufsehenerregendsten Verbrechen seit 1945 in Österreich war geklärt.

Der Terror begann am 3. Dezember 1993: Der Hartberger Pfarrer Mag. August Janisch öffnete kurz nach elf Uhr einen Brief. Plötzlich detonierte das Schreiben und verletzte den Priester an der linken Hand und im Gesicht. Kurze Zeit später ging in der Minderheitenredaktion im ORF-Zentrum in Wien-Hietzing eine weitere Briefbombe hoch: Silvana Meixner, Redakteurin und Moderatorin der Sendung „Heimat, fremde Heimat“, erlitt Verletzungen.
Am nächsten Tag wurde in der Caritas-Zentrale in Wien eine Briefbombe entdeckt. Sie war an den Leiter von Caritas-Österreich, Mag. Helmut Schüller, gerichtet. Wieder einen Tag später konnten zwei weitere Sprengfallen in der Post abgefangen und entschärft werden. Die Briefbomben waren an den „Slowenischen Kulturverein Artikel 7“ in der steirischen Bezirksstadt Bad Radkersburg adressiert sowie an die damalige Klubobfrau der Grünen im Parlament, Dr. Madeleine Petrovic.
Am Abend des 5. Dezember öffnete der Wiener Bürgermeister Dr. Helmut Zilk, gerade von einer Reise zurückgekehrt, in seiner Wohnung in der Naglergasse in der Wiener Innenstadt seine Post. Die Detonation einer Briefbombe verletzte den Politiker schwer. Seine linke Hand blieb verstümmelt. Tags darauf gab es eine weitere Verletzte. Eine 18-jährige Sekretärin in einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei hatte einen Brief geöffnet, der an den „Islamischen Ausländer-Hilfsverein“ gerichtet war, jedoch an den Masseverwalter des Vereins zugestellt wurde. Die junge Frau erlitt Verletzungen an den Händen und im Gesicht. Zehn Briefbomben umfasste diese erste Attentatsserie. Eine an die Migrationssprecherin der „Grünen“, die Nationalratsabgeordnete Terezija Stoisits, adressierte Briefbombe landete irrtümlich im Wiener Handelsgericht und konnte entschärft werden.
Bei einer Routinekontrolle wurde in der Post des Bundeskanzleramts ein an die Frauenministerin Johanna Dohnal gerichteter Sprengsatz entdeckt. Ein weiterer brisanter Brief, der für die ARGE Ausländerbeschäftigung der Wirtschaftskammer in Wien bestimmt war, konnte ebenfalls rechtzeitig abgefangen und entschärft werden.

Weitere Anschlagsserien.

Zehn Monate nach den ersten Briefbomben wurden die heimtückischen Anschläge fortgesetzt. Am 4. Oktober 1994 wurden im Gastarbeiterreferat der Diözese Feldkirch Briefbomben zugestellt, im Wieser-Verlag in Klagenfurt und in der Hallein Papier AG. Alle drei Sprengsätze konnten erkannt und entschärft werden – nicht zuletzt aufgrund der eindringlichen Warnungen des Innenministeriums und der Sensibilisierung der Bevölkerung. Zwei Tage später wurde die vierte Minibombe der zweiten Anschlagserie rechtzeitig entdeckt. Adressiert war der Brief an den Abt des Stiftes Wilten in Tirol.
Bei der dritten Briefbombenserie im Juni 1995 kamen drei Menschen zu Schaden. Am 9. Juni verletzte die Detonation einer Briefbombe in München eine Mitarbeiterin des Privatfernsehsenders „Pro 7“. Das gefährliche Schreiben war für die aus Wien stammende Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer bestimmt. Am selben Tag erlitt die gebürtige Ungarin Eva Kulmer beim Öffnen eines Bombenbriefs in Linz schwere Verletzungen. Fünf Tage später detonierte die dritte Bombe dieser Serie in der norddeutschen Stadt Lübeck. Die Anschrift lautete auf den Vizebürgermeister Lübecks, Dietrich Szameit. Der Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Rathaus, Thomas Rother, der den Brief geöffnet hatte, erlitt Verletzungen.
Die nächste Anschlagsserie sorgte am 16. Oktober 1995 für Aufsehen. Der Gemeindearzt von Stronsdorf im nördlichen Niederösterreich, Dr. Mahmoud Abou-Roumie, öffnete in seiner Ordination einen Brief mit einer Briefbombe. Der aus Syrien stammende Mediziner wurde leicht verletzt.
Schwerere Verletzungen erlitt die Poysdorferin Maria Loley, als sie im Postamt einen an sie adressierten Brief mit einer Sprengladung öffnete. Die ehemalige Fürsorgerin hatte 1981 mit Hilfsprojekten begonnen. 1992 hatte sie ein Hilfsnetz für Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgebaut. Das dritte Schreiben dieser Attentatsserie war an ein aus Südkorea stammendes Ärzteehepaar gerichtet. Der Brief konnte entschärft werden.
Sechs Tage vor der Nationalratswahl 1995 ereignete sich die Briefbombenserie Nummer fünf: Am 11. Dezember 1995 detonierten in einem Postkasten in Graz-Gösting zwei Briefbomben, zwei weitere konnten vom Entschärfungsdienst sichergestellt werden. Durch einen besonders heimtückischen Zünder detonierten diese beiden Sprengkörper während des Transports nach Wien in einem Sicherheitsbehälter.
Adressaten der vier Briefe waren das Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Wien, eine in der Bundeshauptstadt lebende indische Familie, eine von einem Grazer betriebene Partnervermittlungsagentur in der ungarischen Stadt Kőszeg (Güns) sowie Angela Resetarits, die aus einer überwiegend kroatischsprachigen Ortschaft im Burgenland stammende Mutter des Kabarettisten Lukas, des Sängers Willi („Kurt Ostbahn“) und des ORF-Redakteurs Dr. Peter Resetarits („Am Schauplatz“).
Ein knappes Jahr später gab es die letzte Briefbombe. Ein sprengstoffkundiger Sicherheitswachebeamter (SKO) der Wiener Polizei stellte am 9. Dezember 1996 in Wien einen verdächtigen Brief sicher. Bei der Untersuchung detonierte der Sprengsatz und verletzte den Beamten an den Fingern. Adressiert war das Schreiben an die Schriftstellerin Lotte Ingrisch, die Frau des Komponisten Gottfried von Einem und Stiefmutter des damaligen Innenministers Dr. Caspar Einem.

Erinnerung an die vier Mordopfer von Oberwart: Gedenkstätte und Erinnerungstafel in der Nähe des Tatorts in Oberwart
Erinnerung an die vier Mordopfer von Oberwart: Gedenkstätte und Erinnerungstafel in der Nähe des Tatorts in Oberwart © Werner Sabitzer

Heimtückische Sprengfallen.

Die ersten Briefbomben waren so konstruiert, dass der Adressat beim Öffnen durch die Detonation nur verletzt werden sollte. Die späteren Briefbomben waren technisch ausgereifter und lebensgefährlich. Der Bombenbastler wollte Menschen töten und baute neben den Briefbomben drei heimtückische Sprengfallen.
In der Nacht auf den 24. August 1994 wurde auf dem Gelände der zweisprachigen Rennerschule im Klagenfurter Stadtteil St. Peter ein verdächtiges Rohr entdeckt. Der im Erkennen von Sprengsätzen ausgebildete Sicherheitswachebeamte Theodor Kelz und zwei Kollegen brachten das PVC-Rohr mit dem Funkwagen zum Klagenfurter Flughafen, um es im Gepäck-Röntgengerät des Airports zu durchleuchten.
Eine perfide Kombination aus Zeit- und Rüttelzünder ließ den Sprengsatz im Flughafengebäude detonieren. Kelz wurden beide Unterarme weggerissen, die beiden anderen Sicherheitswachebeamten erlitten leichte Verletzungen. Theodor Kelz erhielt Armprothesen, versah bald wieder Dienst in der Polizeidirektion Klagenfurt und konnte nach einer Überprüfung durch eine Amtsärztin auch wieder Motorrad fahren. Im März 2000 wurden dem Polizisten in einer 18-stündigen Operation zwei Spenderhände transplantiert. Jahre später machte er zum dritten Mal den A-Führerschein und fuhr mit dem Motorrad durch die Welt.
Schrecklicher Höhepunkt der Terrorwellen war die Sprengfalle von Oberwart. In der Nacht auf den 4. Februar 1995 wurden in der Nähe der Roma-Siedlung außerhalb von Oberwart vier Angehörige der Roma-Minderheit durch eine Detonation getötet. Die Bombe war einem Verkehrszeichen nachempfunden und auf einer Tafel stand „Roma zurück nach Indien“.
Am nächsten Tag wurde in Stinatz, einem kroatischsprachigen Ort unweit von Oberwart, ein Umweltarbeiter von einem weiteren getarnten Sprengsatz an einer Hand schwer verletzt. Die Terrorserie umfasste insgesamt 25 Briefbomben, eine Rohrbombe und zwei weitere lebensgefährliche Sprengfallen. Vier Menschen wurden bei diesen Anschlägen getötet und 15 Personen verletzt, zum Teil schwer.

Briefbombenattentäter Franz Fuchs
Briefbombenattentäter Franz Fuchs
© BMI

Die Fahndung nach dem Briefbombenattentäter gestaltete sich zu einer der langwierigsten und umfangreichsten in der Geschichte der Zweiten Republik und stellte das Innenressort vor eine Belastungsprobe. Es kam zu Fehlern, Pannen, internen Querelen und Rückschlägen. „Trittbrettfahrer“ und Verschwörungstheoretiker erschwerten die Fahndung. Die Polizei stand dieser neuen Dimension des Terrors unvorbereitet gegenüber. Es fehlte an Erfahrung in der Bewältigung von Ausnahmesituationen dieser Art – aber auch an Ausrüstung und spezifischer Ausbildung. Dieses Manko wurde im Laufe der mehrjährigen Ermittlungen ausgeglichen.
In einer Reihe von Bekennerbriefen wurde als Urheber der Anschläge eine „Bajuwarische Befreiungsarmee“ (BBA) genannt – deshalb wurde auch intensiv die Mehr-Täter-Theorie verfolgt. Die Tätersuche konzentrierte sich aufgrund der Bekennerschreiben und der Auswahl der Opfer der ersten Briefbombenserie zunächst auf die rechtsradikale Szene. Mitte Dezember 1993 wurden zwei Rechtsextremisten als mutmaßliche Urheber der Attentate bzw. Beteiligte an den Anschlägen festgenommen. Die beiden Männer wurden zwar wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt; in der Briefbombencausa erfolgte allerdings ein Freispruch.
Anfang 1995 setzte sich unter den Ermittlern die Überzeugung durch, hinter den Anschlägen könnte ein Einzeltäter oder eine sehr kleine Gruppe stehen, die nicht unbedingt der rechtsradikalen Szene angehörte. Am 7. März 1995 wurde ein erstes Täterprofil veröffentlich – zugeschnitten auf eine Gruppe von drei Personen. Für sachdienliche Hinweise wurde eine Belohnung von zehn Millionen Schilling ausgesetzt, die höchste bisher in Österreich.

Soko Briefbomben.

Briefbombenreste, Bilder und Bekennerschreiben in der Lehrmittelsammlung des Entschärfungsdienstes des Innenministeriums
Briefbombenreste, Bilder und Bekennerschreiben in der
Lehrmittelsammlung des Entschärfungsdienstes des
Innenministeriums © BMI

Im Herbst 1995 wurde die Sonderkommission (Soko) Briefbomben gebildet und räumlich von der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) getrennt. Leiterin der Soko war die Polizeijuristin Mag. Sigrun Tretter. Eine wesentliche Rolle spielte der Kriminalpsychologe Dr. Thomas Müller. Für die Medienarbeit in der Briefbombencausa wurde mit Chefinspektor Robert Sturm ein eigener Mediensprecher eingesetzt. In allen staatspolizeilichen Abteilungen wurden Verbindungsbeamte für die Soko installiert. Dadurch wurde die Zusammenarbeit mit den nachgeordneten Dienststellen verbessert. Wissenschaftler, Sachverständige und andere Experten wurden in die Ermittlungsarbeit eingebunden, darunter Gerichtsmediziner, Handschriftenexperten, Atomphysiker, Sprengtechniker, Kryptographie-Experten, Historiker, Linguisten, Elektroniker, Chemiker und EDV-Spezialisten.
Bei der Fahndung wurden neue Strategien und einzigartige Ermittlungsmethoden eingesetzt, darunter die Restwasseruntersuchung, die „Aktion Briefkästen“ und eine psychologisch ausgeklügelte Kommunikationstaktik.
Ab März 1995 wurde der Straßenverkehr stärker überwacht, und bei Planquadraten wurden die Kofferräume der angehaltenen Autos durchsucht, um den Täter auf seinen Fahrten durch Österreich unsicher zu machen.

„Aktion Briefkästen.“

Tafel der Sprengfalle von Oberwart
Tafel der Sprengfalle von Oberwart © BMI

Nach der fünften Briefbombenserie im Dezember 1995, einige Tage vor der Nationalratswahl, starteten die Ermittler die „Aktion Briefkästen“: Ein deutsches Unternehmen entwickelte ein elektronisches Gerät, das durch Abgabe eines Impulses den Funksensor einer Briefbombe betätigen und dadurch den Sprengsatz detonieren lassen sollte. Damit sollten mögliche Adressaten von Briefbomben sowie Postbedienstete vor der Sprengwirkung geschützt werden.
In Zusammenarbeit mit der Postdirektion statteten Beamte des Gendarmerieeinsatzkommandos (heute: Einsatzkommando Cobra), die in Postuniformen und mit Postautos unterwegs waren, unter Geheimhaltung im Mai 1996 rund 2.000 Postkästen in Niederösterreich und der Steiermark mit den Geräten aus. Die Postkästen in den beiden Bundesländern waren von den Mitgliedern der Sonderkommission „Briefbomben“ aufgrund der Vorgangsweise des Täters bzw. der Täter ausgewählt worden. Im Falle des Einwurfs einer Briefbombe mit Funksensor wäre der Sprengkörper im Briefkasten detoniert.
Briefträger, die nachfragten, warum sich im Postkasten ein kleines Kästchen befinde, erhielten aus der Postdirektion die Antwort, es handle sich um ein „Frequenzzählmessgerät“. In einem der präparierten Briefkästen im steirischen Ort Weißkirchen wurde am 27. September 1996 ein verschlüsseltes Schreiben an das Nachrichtenmagazin „profil“ eingeworfen. Der Brief enthielt keinen Sprengsatz.

Restwasseranalyse.

Im Dezember 1996 wurde ein einzigartiger Versuch gestartet, die Herkunft des Wasser festzustellen, mit dem die Gips-Sand-Mischung des Gipssockels der Rohrbombe von Oberwart angerührt worden war. Prof. Dr. Hilmar Förstel, ein Forscher aus Jülich in Nordrhein-Westfalen, schlug vor, das Restwasser aus dem Sockel auszuscheiden und molekularphysikalisch zu untersuchen. Förstel hatte eine Methode zur Herkunftsbestimmung von Wein entwickelt. Das sollte nun auch mit Wasser funktionieren. Bei der Isotopenanalyse werden drei ihrem Atomgewicht nach unterschiedliche Sauerstoffvarianten untersucht, die je nach Region in einem verschiedenartigen Mischungsverhältnis im Wasser enthalten sind. Wasserproben aus Regionen in Niederösterreich, im Burgenland und in der Steiermark wurden mit dem Restwasser aus dem Sockel verglichen. Im Frühjahr 1997 gab es ein konkretes Ergebnis: Im Wasser
des Gipssockels wurde ein ungewöhnlich hoher Anteil des 3H-Wasserstoffisotopes („Tritium“) gemessen. Die Herkunft des Wassers konnte geografisch auf sieben burgenländische und steirische Bezirke eingegrenzt werden – darunter befand sich das Leibnitzer Becken. Nun wurden für weitere Analysen österreichische Wissenschaftler hinzugezogen und die Atomenergiebehörde in Wien befasst.
Die Sachverständigen Prof. Dr. Hilmar Förstel, Dr. Dieter Rank und Prof. Dr. Hans Zojer wiesen nach, dass Franz Fuchs den Gipssockel für die Sprengfalle von Oberwart spätestens zum Jahreswechsel 1994/1995 in seinem mit Tritium kontaminierten Wohnzimmer mit Wasser aus seinem Hausbrunnen herstellt hatte.
Nach der Festnahme des Briefbombers wurde in seinem Wohnraum in Gralla ebenfalls ein außerordentlich hoher Tritium-Gehalt in der Luft gemessen, während es in den anderen, von den Eltern des Täters bewohnten Räumen einen üblichen Tritium-Gehalt gab.
Die Sachverständigen stellten weiters fest, dass es sich bei dem im Sockel des Sprengkörpers verwendeten Gips aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung höchstwahrscheinlich um die Puchberger Sorte „Schottwiener Stuckgips“ handelte. Der Sand des Sockels stammte aus einer Schottergrube in der Nähe von Bruck an der Leitha, war aber wie der „Schottwiener Stuckgips“ in vielen Baumärkten erhältlich.

Täterkommunikation.

Ab 1996 versuchten die Ermittler über Printmedien und via Fernsehen verstärkt, mit dem oder den Täter(n) zu kommunizieren und ihn bzw. sie unter Druck zu setzen. Die Soko veröffentlichte Täterprofile, ausgearbeitet vom Kriminalpsychologen Thomas Müller. Im November 1996 veröffentlichten die Journalisten Michael Grassl-Kosa und Hans Steiner ein Zeitschriftenbuch mit dem Titel „Der Briefbomber ist unter uns“. In diesem, vom Innenministerium unterstützten Werk wurde die Einzeltätertheorie vertreten und ein akzentuiertes Täterprofil entworfen. Mit dieser Strategie sollte dem oder den Täter(n) das Gefühl vermitteln werden, die Sicherheitsbehörden seien ihm auf der Spur.

Lauschangriff und Rasterfahndung.

Röntgenbild einer Briefbombe
Röntgenbild einer Briefbombe © BMI

Bei der Fahndung nach den Bombenlegern verstärkte sich die Forderung des Innenministeriums zur Schaffung der rechtlichen Grundlagen für den automationsunterstützten Datenabgleich („Rasterfahndung“) und das elektronische Abhören („Lauschangriff“). Am 10. Juli 1997 wurde das Gesetz über die besonderen Ermittlungsmethoden im Parlament beschlossen, am 1. Oktober 1997 trat mit der Möglichkeit der Rasterfahndung der erste Teil dieses Gesetzes in Kraft.
Die Briefbombencausa wäre der erste Fall eines automatischen Datenabgleichs in Österreich gewesen. Die Soko „Briefbomben“ hatte bereits alle Vorbereitungen für eine Rasterfahndung in jenen sieben Bezirken getroffen, die aufgrund der Restwasseruntersuchung in Frage gekommen wären. Die Rasterfahndung erübrigte sich aber mit der spektakulären Festnahme des Briefbombenattentäters am 1. Oktober 1997, dem Tag des Inkrafttretens der Rasterfahndung.

Die Vollanzeige der „Soko Briefbomben“ an die Staatsanwaltschaft bestand aus 947 Seiten. Das Ermittlungsergebnis, das von den Beamten der Sonderkommission zusammengetragen wurde, umfasste rund 400.000 Seiten in 1.525 Aktenordnern. Es gab 153 Hausdurchsuchungen und 54.000 Personenüberprüfungen. Die Einvernahmeprotokolle umfassten 2.675 Seiten.
Die Kriminalisten gingen knapp 10.000 Hinweisen nach. Die Ermittlungen ergaben, dass Franz Fuchs die Anschläge mit allergrößter Wahrscheinlichkeit allein verübt hatte. Es wurden keine Anhaltspunkte auf allfällige Mittäter oder Helfer gefunden. Der Tatverdacht beruhte auf Sachbeweisen und einer dichten Indizienkette. So stimmte die Auswertung der sichergestellten Schaltpläne, elektrischen Messreihen und Beschreibungen zum Aufbau von Briefbomben und anderer Sprengvorrichtungen mit dem Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen einiger Anschläge überein. Bei den in der Wohnung von Franz Fuchs sichergestellten elektronischen Bauteilen, Schaltungen, Sprengfallen und Zündauslösern gab es einen engen Zusammenhang mit der Bauweise der zwischen 1993 und 1996 detonierten Sprengvorrichtungen. Die in der Wohnung sichergestellten Sprengstoffe Nitroglycerin, Nitrozellulose sowie die Initialsprengstoffe Silberfulminat und Quecksilberfulminat wurden bei den Anschlägen verwendet.
Bei den sichergestellten Schriftstücken gab es Übereinstimmungen mit Bekennerschreiben. Als Tatmotiv wurden Minderheiten- und Fremdenfeindlichkeit, Deutschtümelei sowie Ablehnung der staatlichen Institutionen, insbesondere der Sicherheitsexekutive und der Justizbehörden angenommen.

Lebenslange Haftstrafe.

Der Strafprozess gegen den Briefbomber Franz Fuchs begann am 2. Februar 1999 im Landesgericht Graz. Anklagepunkte waren vierfacher Mord, absichtliche schwere Körperverletzung, schwere Sachbeschädigung, schwere Nötigung, Landzwang und Nötigung der Bundesregierung.
Gerichtspsychiater Dr. Reinhard Haller bescheinigte dem Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, paranoiden, anankastischen (zwanghaften), fanatischen und narzisstischen Zügen. Weil er laut Hasstiraden und rechtsextreme Parolen brüllte, wurde Fuchs von der Verhandlung ausgeschlossen.
Die Geschworenen sprachen ihn am 10. März 1999 in allen Anklagepunkten einstimmig schuldig. Das Urteil lautete auf lebenslange Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Der Verurteilte verzichtete auf Rechtsmittel.
Franz Fuchs, der Prothesen abgelehnt und seinen Tagesablauf mit den Armstümpfen bewältigt hatte, erhängte sich am 26. Februar 2000, ein knappes Jahr nach dem Urteil, in seiner Zelle in der Justizanstalt Graz-Karlau mit dem Kabel seines Rasierapparats.

Werner Sabitzer


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2023

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