Verkehrsrecht

Straßenverkehr und Recht

Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu den Themen außerordentliche Strafmilderung bei Alkoholdelikten, strafbefreiende Wirkung der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten und Anordnung einer Nachschulung nach Organmandat.

Anordnung einer Nachschulung

Ein Verstoß gegen das Handyverbot am Steuer kann bereits bei Erlassung einer Organstrafverfügung – und nicht erst bei einem rechtskräftigen Straferkenntnis – zur Anordnung einer Nachschulung führen.
Ein Verstoß gegen das Handyverbot am Steuer kann bereits
bei Erlassung einer Organstrafverfügung – und nicht erst
bei einem rechtskräftigen Straferkenntnis – zur Anordnung
einer Nachschulung führen. © Daniel Scharinger/
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Im Rechtsmittelweg ordnete das Landesverwaltungsgericht (LVwG) Vorarlberg gegenüber einem in der Probezeit befindlichen Führerscheinbesitzer eine Nachschulung für verkehrsauffällige Lenker an. Dem lag zugrunde, dass er kurz zuvor sein Mobiltelefon am Steuer ohne Freisprecheinrichtung bedient hatte (§ 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG, „Handyverbot am Steuer“) und deswegen gegen ihn eine Organstrafverfügung ergangen war, die er an Ort und Stelle bezahlt hatte.
In der rechtlichen Begründung ging das LVwG Vorarlberg davon aus, dass bei einer Übertretung des „Handyverbotes am Steuer“ bereits dann eine Nachschulung angeordnet werden kann, wenn deswegen bloß eine Organstrafverfügung ergangen ist (§ 4 Abs. 3 zweiter Satz und Abs. 6 Z 2a FSG). Bei sonstigen Verstößen komme es hingegen auf die Rechtskraft des Straferkenntnisses an (§ 4 Abs. 3 erster Satz FSG).
Da Führerscheinbehörden bei der Anordnung einer Nachschulung an rechtskräftige Straferkenntnisse gebunden seien, müsse dies sinngemäß auch für den hier zu beurteilenden Sonderfall gelten, dass wegen einer Übertretung des „Handyverbotes am Steuer“ bloß eine Organstrafverfügung ergangen und vom Beanstandeten bezahlt worden ist.
Die außerordentliche Revision des Führerscheinbesitzers war erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofes: Die fristgerechte Zahlung einer Organstrafverfügung, die kein Bescheid ist und daher nicht in Rechtskraft erwachsen kann, bewirkt das Ende des abgekürzten Strafverfahrens. Mangels Bescheidqualität kann es dann nicht mehr zu einer rechtskräftigen Bestrafung des Beanstandeten kommen, mangels Rechtsraft besteht aber auch keine Bindungswirkung einer durch Organstrafverfügung verhängten Bestrafung in anderen Verwaltungsverfahren.
Ohne Bindungswirkung und rechtskräftige Bestrafung, wie sie der Regelfall des § 4 Abs. 3 erster Satz FSG voraussetzt, bedarf es im hier maßgeblichen Sonderfall des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG jedoch eines Äquivalents für die Beurteilung der Frage, ob der Führerscheinbesitzer den Tatbestand des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG tatsächlich verwirklicht hat. Dieses Äquivalent besteht darin, dass die Führerscheinbehörde (ausnahmsweise) selbst und eigenständig beurteilt, ob der Führerscheinbesitzer den für die Anordnung einer Nachschulung maßgeblichen Verstoß begangen hat.
Das LVwG Vorarlberg hat vor diesem Hintergrund zu Unrecht angenommen, dass eine Organstrafverfügung dieselbe Bindungswirkung wie ein rechtskräftiges Straferkenntnis entfaltet, und daher keine Feststellungen zu der vom Führerscheinbesitzer begangenen Verwaltungsübertretung („Handyverbot am Steuer“) getroffen. Wegen dieses sekundären Feststellungsmangels war das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
VwGH Ra 2023/11/0032,
29.6.2023

Verantwortlicher Beauftragter: Strafbefreiung

Weil ein von einer Bauunternehmens-GmbH gemietetes Kfz auf einer Straße in Vorarlberg das höchstzulässige Gesamtgewicht und eine höchstzulässige Achslast überschritten hatte, verhängte die Bezirkshauptmannschaft Bludenz bzw. im Rechtsmittelweg das LVwG Vorarlberg gegen den handelsrechtlichen Geschäftsführer zwei Geldstrafen (§ 134 Abs. 1 iVm §§ 103a Abs. 1 Z 3 und 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967) und stellte die Haftung der GmbH fest (§ 9 Abs. 7 VStG).
Die GmbH habe, so die Begründung, für alle in Vorarlberg gelegenen Baustellen ihres Geschäftsbereichs „Tiefbau“ zwar einen verantwortlichen Beauftragten (§ 9 Abs. 2 VStG) bestellt und der Behörde bekannt gegeben. Der Begriff „Tiefbau“ umfasse aber nicht die Einhaltung kraftfahrrechtlicher Bestimmungen. Die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten für den Geschäftsbereich „Tiefbau“ habe den Geschäftsführer daher nicht von seiner strafrechtlichen Verantwortung für die Einhaltung der hier einschlägigen Bestimmungen des KFG 1967 befreien können.
Der Geschäftsführer und die GmbH erhoben außerordentliche Revision und waren erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofes:
Der verwaltungsstrafrechtliche Verantwortungsbereich eines nach § 9 Abs. 2 VStG bestellten Beauftragten ist klar abzugrenzen, sodass die Strafbehörde ihn ohne aufwändige Ermittlungen, etwa zur Gliederung des jeweiligen Betriebs in sachlicher und räumlicher Hinsicht, eindeutig erkennen und bei der Strafverfolgung berücksichtigen kann. Eine Urkunde, mit der ein verantwortlicher Beauftragter bestellt und der Strafbehörde bekanntgegeben wird, ist daher nach ihrem objektiven Erklärungswert und nicht nach der – möglicherweise abweichenden, im Urkundeninhalt aber nicht zum Ausdruck kommenden – Absicht des Erklärenden zu beurteilen.
Die hier zu prüfende Bestellungsurkunde verpflichtet den verantwortlichen Beauftragten, „dafür zu sorgen, dass alle Verwaltungsvorschriften, welche von unserem Unternehmen im Rahmen unserer Tätigkeit für das Bundesland Vorarlberg zu beachten sind, eingehalten werden“. Dem folgt eine beispielhafte Aufzählung mehrerer Gesetze, deren Einhaltung der übertragene Verantwortungsbereich umfasst. Angesichts dieses klaren Wortlauts („alle Verwaltungsvorschriften“) erweist sich die Annahme des LVwG Vorarlberg, dass die Bestellungsurkunde sich nicht auch auf die Einhaltung kraftfahrrechtlicher Bestimmungen beziehe, als unvertretbar.
Indem das LVwG Vorarlberg bloß vom Begriff „Tiefbau“ ausgegangen ist und nicht auch den übrigen Inhalt der Bestellungsurkunde berücksichtigt, belastetet es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtwidrigkeit. Ergänzend ist festzuhalten, dass aus dem Erkenntnis vom 25.1.2002, 2001/02/0279, auf das es sich in seiner Begründung beruft, für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen ist. Denn dieses Erkenntnis betraf eine inhaltliche Beschränkung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit auf das Sachgebiet „Hochbau“, während es hier um eine räumliche Abgrenzung für bestimmte Baustellen, nämlich jene des Geschäftsbereichs „Tiefbau“ – und zwar für alle Verwaltungsvorschriften – geht.
VwGH Ra 2021/02/0220 und 0221, 25.7.2023

 

Strafmilderung bei Alkoholdelikten

Alkoholdelikte: Wird ein Verdächtiger auf frischer Tat betreten, so ist ein Geständnis kein tauglicher Milderungsgrund und bei einer allfälligen außerordentlichen Strafmilderung nicht zu berücksichtigen.
Alkoholdelikte: Wird ein Verdächtiger auf
frischer Tat betreten, so ist ein Geständnis
kein tauglicher Milderungsgrund und bei
einer allfälligen außerordentlichen Straf-
milderung nicht zu berücksichtigen. ©
Egon Weissheimer

Die Landespolizeidirektion (LPD) Wien verhängte gegen den Mitbeteiligten eine Geldstrafe, weil er, auf frischer Tat betreten, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen E-Scooter gelenkt hatte (§ 99 Abs. 1a iVm § 5 Abs. 1 StVO). Der Mitbeteiligte erhob Beschwerde an das Verwaltungsgericht (VwG) Wien, in der er seine Alkoholisierung zwar nicht bestritt, die Strafe (Geldstrafe von 1.200 Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafe von zehn Tagen) jedoch als überhöht bekämpfte.
Das VwG Wien halbierte die Geldstrafe, reduzierte die Ersatzfreiheitsstrafe auf zwei Tage und setzte einen Verfahrenskostenbeitrag von 60 Euro fest. Der Mitbeteiligte, so die Begründung, sei verwaltungsstrafrechtlich unbescholten; er habe sich schuldeinsichtig gezeigt und seine Tat gestanden. Erschwerungsgründe lägen nicht vor. Wegen beträchtlichen Überwiegens der Milderungsgründe seien daher die Voraussetzungen für eine außerordentliche Strafmilderung gemäß § 20 VStG erfüllt.
Die LPD Wien erhob außerordentliche Revision und war erfolgreich. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtshofes: Als Ermessensentscheidung ist die Strafbemessung anhand der Bedeutung des geschützten Rechtsgutes, der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat sowie – im ordentlichen Verfahren – der Milderungs- und Erschwerungsgründe vorzunehmen (§ 19 VStG). Eine außerordentliche Strafmilderung (§ 20 VStG) setzt wiederum voraus, dass die Milderungsgründe zwar nicht notwendigerweise ihrer Zahl, aber jedenfalls ihrem Gewicht nach die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen. Der VwGH prüft dabei nur, ob die festgesetzte Strafe im Lichte dieser Kriterien vertretbar erscheint.
Für die Strafbemessung ist ein Geständnis dann kein relevanter Milderungsgrund, wenn der Verdächtige – wie regelmäßig bei einer Feststellung des Alkoholgehaltes der Atemluft durch einen Alkomaten – auf frischer Tat betreten wird und die Tat daher notgedrungen gesteht. Dem auf frischer Tat betretenen Mitbeteiligten kommt also – wie die Revision zu Recht anmerkt – nur seine verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit als Milderungsgrund zugute. Da eine außerordentliche Strafmilderung indessen voraussetzt, dass die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe „beträchtlich“ überwiegen, kann die bloße Unbescholtenheit selbst dann keine außerordentliche Strafmilderung rechtfertigen, wenn ansonsten keine Erschwerungsgründe vorliegen (VwGH 1.9.2022, Ra 2022/02/0125). Im Übrigen kann der Mitbeteiligte auch nicht den von ihm nachträglich ins Treffen geführten Milderungsgrund der Unbesonnenheit beanspruchen, hat er doch – wie er selbst vorbrachte – mit Blick auf seinen Alkoholkonsum bewusst auf die Verwendung eines Kraftfahrzeugs verzichtet und sich stattdessen – wegen der höheren gesetzlichen Grenzwerte – für den Gebrauch eines E-Scooters entschieden. Da das VwG Wien zu Unrecht davon ausging, dass die Voraussetzungen für eine außerordentliche Strafmilderung (§ 20 VStG) erfüllt waren, war sein Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
VwGH Ra 2023/02/0046,
17.7.2023

Bernhard Krumphuber

Erratum

Im Beitrag „Straßenverkehr und Recht“ in der Ausgabe Juli/August 2023 heißt es im Bildtext auf Seite 55, ein E-Scooter sei „im Gegensatz zu einem Fahrrad ein Kraftfahrzeug im Sinn des KFG“. Dies ist zu präzisieren, denn der Begriff des Kraftfahrzeugs (§ 2 Z 1 KFG 1967) setzt unter anderem voraus, dass das betreffende Fahrzeug „zur Verwendung auf Straßen bestimmt“ ist. Ob ein E-Scooter diese Voraussetzung erfüllt, ist jedoch von verschiedenen Faktoren, z.B. von dessen Leistung und Bauartgeschwindigkeit abhängig. Darüber hinaus wird in demselben Beitrag auf Seite 55 zweimal auf das LVwG Tirol Bezug genommen, obwohl das LVwG Vorarlberg gemeint war.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2023

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