Exekutive in der NS-Diktatur

Täter, Opfer, Mitläufer

Polizeijurist Ernst Geiger und Exekutivhistoriker Joachim Steinlechner haben sich mit der Rolle der Exekutive vor, während und nach der NS-Diktatur beschäftigt und darüber Bücher veröffentlicht.

Polizisten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1938 in Wien
Polizisten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1938 in Wien © Polizeiarchiv

Machtübernahme in der Polizeidirektion Wien durch die Nationalsozialisten in der Nacht auf den 12. März 1938: Kriminalbeamte, die am Tag zuvor noch das Abzeichen der Vaterländischen Front am Revers hatten, trugen nun das Hakenkreuzabzeichen. Mit SA-Männern in Zivil begannen sie, Führungskräfte festzunehmen. Nationalsozialisten hissten auf dem Direktionsgebäude die Hakenkreuzfahne und übernahmen wesentliche Funktionen im Sicherheitswesen. Polizeipräsident Michael Skubl ersetzte in vorauseilendem Gehorsam den Leiter der Staatspolizei, Hofrat Bernhard Pollak, durch den nationalsozialistisch gesinnten Herbert Hedrich.
Hochrangige Politiker und Beamte des Ständestaats wurden festgenommen, darunter Polizeiangehörige, die vor der Machtübernahme gegen illegale Nationalsozialisten eingeschritten waren, wie Richard Böhm, Rudolf Manda, Maximilian Pammer, Franz Zelburg, Maximilian Ronge, Emanuel Stillfried, Josef Kimmel und Heinrich Hüttl. Sie wurden am 1. April 1938 mit dem „Prominententransport“ in das Konzentrationslager Dachau überstellt. Reichsführer SS Heinrich Himmler ließ Polizeipräsident Skubl durch Otto Steinhäusl ersetzen, der bereits beim NS-Putschversuch im Juli 1934 als Polizeipräsident vorgesehen gewesen war. Das reichsdeutsche Polizeisystem wurde in Österreich eingeführt und die Polizisten wurden auf Adolf Hitler vereidigt. Die Kriminalpolizei in Wien wurde in der „Kriminalleitstelle Wien“ zusammengefasst, geleitet von Polizeipräsident Steinhäusl, der Hofrat Hans Hauke als faktischen Leiter bestimmte. Nach der krankheitsbedingten Absetzung Haukes 1939 entsendete das Reichskriminalamt in Berlin den Hamburger Polizeioffizier Johannes Thiele als neuen Kripo-Chef nach Wien.
Letzter Chef der Wiener Kripo wurde kurz vor Kriegsende der Oberösterreicher Karl Zechenter, ein Mitschüler Ernst Kaltenbrunners. Zechenter setzte sich im April 1945 vor dem Einmarsch der Roten Armee in Wien nach Linz ab, wo er die Leitung der Gestapo-Leitstelle übernahm. Nach Kriegsende wurde er festgenommen und 1947 nach Dänemark ausgeliefert, wo er als Kriegsverbrecher zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber vom Berufungsgericht im Jänner 1950 freigesprochen wurde. Zechenter kehrte nach Österreich zurück, wurde 1951 als Polizeijurist in der BPD Linz eingestellt, wo er die Kriminalpolizeiliche Abteilung leitete. Der ehemalige hochrangige Nazi wurde stellvertretender Polizeidirektor und 1966 Sicherheitsdirektor von Oberösterreich.

Die Rolle der Polizei in der NS-Diktatur wurde in Österreich kaum aufgearbeitet. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Arbeiten. Im Rahmen des Forschungsprojekts des Bundesministerium für Inneres, „Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten vom Anschluss bis in die Zweite Republik“, haben Expertinnen und Experten versucht, dieses Kapitel aufzuarbeiten und Biografien von Tätern und Opfern bei der Exekutive zu erforschen.
Ernst Geiger, langjähriger Chef der „Mordkommission“ im Wiener Sicherheitsbüro und später bis zu seiner Pensionierung 2017 oberster OK-Bekämpfer im Bundeskriminalamt, hat jahrelang über die Wiener Kriminalpolizei und die Rolle ihrer Leiter in der Nazizeit recherchiert. In seinem Werk „Berggasse 41“ (Adresse des Hauptquartiers der Wiener Kriminalpolizei) beschreibt er die Kripo von der Ersten Republik, über die Neuorganisation nach dem „Anschluss“ bis hin zu den Ereignissen zu Kriegsende und den Karrieren ehemaliger Nazis in der Zweiten Republik.
Vielen Nazis gelang es, ihre Rolle in der Kriminalpolizei abzuschwächen und nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur im demokratischen Österreich wieder Führungsfunktionen zu erlangen, wie das geschilderte Beispiel des Karl Zechenter zeigt.
Ernst Geiger hat die Biografien der Führungskräfte der Wiener Kriminalpolizei in der NS-Zeit erfasst. Er schildert, wie sich Kriminalbeamte während der Nazizeit verhielten und welche Herausforderungen sie zu bewältigen hatten. Geiger befasst sich auch mit der Kriminalität, ihrer Bekämpfung und der Prävention in der NS-Diktatur.

Gendarmerie in der NS-Zeit.

Exekutivgeschichte: Sachbuchautoren Ernst Geiger und Joachim Steinlechner
Exekutivgeschichte: Sachbuchautoren Ernst Geiger und
Joachim Steinlechner © Alexander Tuma, Privat

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 wurde die österreichische Gendarmerie in die deutsche Ordnungspolizei eingegliedert. Die Bezeichnungen der Dienststellen, Funktionen und Amtstitel wurden dem deutschen Polizeisystem angeglichen. Nationalsozialisten übernahmen Führungspositionen in der Gendarmerie. Dem Ständestaat treu verbundene leitende Gendarmen wurden abgesetzt, frühpensioniert, entlassen, festgenommen und misshandelt. Einige von ihnen wurden von den neuen Machthabern ermordet oder zu Tode gequält, wie die Gendarmeriebeamten Karl Halaunbrenner und Georg Lexer.
Der Exekutivhistoriker und Leiter des Fachzirkels „Exekutivgeschichte und Traditionspflege“ im BMI, Joachim Steinlechner, hat sich mit der jüngeren Geschichte der Gendarmerie im steirischen Salzkammergut beschäftigt. Er hat Gendarmeriechroniken, amtliche Verlautbarungen, Almanache und andere exekutivhistorische Quellen durchforstet und die Rolle der Gendarmen im Ausseerland von 1930 bis zum Staatsvertrag 1955 anhand von Kurzbiografien dokumentiert. Steinlechner beschreibt die Verhältnisse in den Dienststellen, ihre Struktur und Organisation. Anhand der Biografien vieler Gendarmeriebeamter in der Region geht der Autor der Frage nach, wer in der NS-Diktatur Täter, Opfer oder Mitläufer war. Vielen belasteten Nazis gelang es nach 1945, ihre Taten zu verschleiern und in den Gendarmeriedienst zurückzukehren.
Ein Beispiel für die verschwommene Einordnung als Täter, Mitläufer oder Opfer des Naziregimes ist der Fall Anton Baumgartner. Geboren 1893, trat Baumgartner nach dem Ersten Weltkrieg in die Gendarmerie ein und wurde 1933 zum Gendarmerieposten Bad Aussee versetzt. 1936 wurde er Postenkommandant in Öblarn, kam aber noch im gleichen Jahr zur Gendarmerie in Liezen.
Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich wurde er von den neuen Machthabern zunächst belangt, weil er beim Putschversuch im Juli 1934 einen jungen Nationalsozialisten misshandelt sowie einen Kritiker des Ständestaat-Regimes geohrfeigt hatte. Baumgartner entschuldigte sich bei einem Opfer schriftlich für sein „damaliges Verhalten“, das aus einer „psychischen Ergriffenheit“ wegen zwei von Putschisten schwerverletzten Gendarmen entstanden sei. Baumgartner erwähnte in dem Brief, dass er sich für die NSDAP verpflichtet und den Eid geleistet habe. „Ich werde mit vollem Eifer für den Dienst des großen Vaterlandes eintreten und meine ganze Kraft für die Sache zur Verfügung stellen“, bekräftigte Baumgartner und schloss den Brief mit „Heil Hitler!“ Letztendlich unternahm die NSDAP-Ortsgruppe nichts gegen Baumgartner, der im August 1938 Kommandant des GP Bad Aussee geworden war. Die Ortsgruppe bescheinigte ihm, dass er „sonst ein gerader und korrekter Gendarm“ sei, der „einige Sachen gedeckt“ habe, „was der Bewegung nützte“. Die Ortsgruppe habe kein Interesse, dass Baumgartner wieder wegkomme oder versetzt werde. Die NSDAP-Kreisleitung in Gmunden beantragte die Aufhebung des Verfahrens gegen den Gendarmen und das Verfahren wurde im Dezember 1938 eingestellt.
Im August 1938 trat Baumgartner der NSDAP bei. Er wurde auch Mitglied weiterer nationalsozialistischer Organisationen. Im Juni 1941 wurde er in Krakau eingesetzt. Nach einem Umschulungslehrgang wurde er im Mai 1944 zum Bezirksleutnant in Bad Hall befördert und im September 1944 kam er zur Gendarmerie-Abteilung Bad Aussee zurück. Nach Kriegsende kam eine Sonderkommission des BMI 1946 zur Ansicht, dass Baumgartner für den Gendarmeriedienst „tragbar“ sei. Im Juni 1947 ersuchte der nunmehrige Revierinspektor den Bundespräsidenten um Nachsicht der Sühnefolgen nach dem NS-Gesetz, mit der Begründung, er habe seine Zugehörigkeit zur NSDAP „niemals missbraucht“ und „stets eine positive österreichische Einstellung“ nachweisen können. Außerdem habe er einer Ausseer NS-Widerstandsgruppe angehört. Er nannte den Bürgermeister von Bad Aussee und einen Gendarmeriemajor als Zeugen. Baumgartner blieb Kommandant des Gendarmeriepostens Bad Aussee und anlässlich seiner Pensionierung 1957 mit der Goldenen Medaille für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.

Werner Sabitzer

Ernst Geiger: Die Wiener Kripo in der Nazizeit. edition a, Wien 2023. www.edition-a.at 
Joachim Steinlechner: Die „lange NS-Zeit“ in Österreich 1930–1945. Opfer/Täter/Mitläufer? Die Geschichte der Exekutive im steirischen Salzkammergut. Böhlau Verlag, Wien 2023. www.boehlau.at 


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2024

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