Philippinen

25 Euro für Kindesmissbrauch

Laut einer Studie über Kindesmissbrauch auf den Philippinen sind die Missbrauchsopfer im Schnitt elf Jahre alt, in den meisten Fällen sind die Täter Angehörige, die Konsumenten des Missbrauchsmaterials sind überwiegend in westlichen Ländern aufhältig.

Ein 45jähriger soll von Österreich aus Anweisungen in Echtzeit für den sexuellen Missbrauch eines zehnjährigen Mädchens auf den Philippinen gegeben haben. Die ältere Schwester erhielt Überweisungen in der Höhe von etwa dreißig Euro und folgte sodann beim Live-Missbrauch ihrer jüngeren Schwester den Anweisungen des bereits vorbestraften Österreichers. Dank Hinweisen aus Österreich konnte das sexuell missbrauchte Mädchen in Davao, im Süden der Philippinen, lokalisiert und aus der Familie genommen werden.

In der Studie „Scale of Harm“ (sinngemäß: Ausmaß des Schadens) wurde zum ersten Mal versucht, die Ausbreitung von sexuellem Kindesmissbrauch mithilfe des Internets auf den Philippinen zu quantifizieren. Bei diesem Verbrechen misshandelt eine Bezugsperson auf den Philippinen ein Kind, während eine Person – meist aus einem westlichen Land – dafür bezahlt und den sexuellen Missbrauch streamt oder Videos und Fotos davon übermittelt bekommt.
Die Täter auf den Philippinen, die oft ihre eigenen Kinder oder Kinder von nahen Angehörigen oder Freunden misshandeln, bekommen dafür umgerechnet etwa 25 Euro. Für den westlichen Konsumenten handelt es sich dabei um einen kleinen Beitrag, der meist über internationale Finanztransaktionsdienstleister überweisen wird. Im Lichte der schwierigen sozio-ökonomischen Verhältnisse auf den Philippinen ist das ausreichend Geld, um ein Angebot für Missbrauchsmaterial von Kindern zu generieren. Das Land wurde in den vergangenen Jahren zu einem weltweiten Hotspot für die Herstellung und Verbreitung von derartigem Missbrauchsmaterial – dessen Motivation auf Seiten der philippinischen Missbrauchstäter klar finanzieller Natur ist.
Laut einer 2023 publizierten Studie des philippinischen Rates zur Bekämpfung von Geldwäsche (Philippine Anti-Money Laundering Council) stamme die höchste Zahl von verdächtigen Transaktionen, die im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch online stehen, aus den USA. Mit deutlichem Abstand wurden Zahlungen aus Großbritannien, Australien und Kanada identifiziert. Vor allem Australien und Kanada hätten sich seit 2015 konsequent am dritten und vierten Platz bei verdächtigen Zahlungen auf den Philippinen gehalten. Das bestätigt den wiederholten Verdacht, dass die Nachfrage nach Missbrauchsmaterial vor allem aus den USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Europa befeuert wird.

Ziel der Studie, die gemeinsam von der „International Justice Mission“ sowie dem Rights-Lab der Universität Nottingham über einen Zeitraum von 24 Monaten erstellt wurde, war es, erstmals quantitative Schätzungen zum Ausmaß von sexuellem Kindesmissbrauch mithilfe des Internets auf den Philippinen zu erheben sowie eine Studienmethodologie zu erarbeiten, die auf Basis derselben Indikatoren zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Versuch, die Verbreitung zu quantifizieren, erlauben wird. Unter Einbindung von Wissenschaftlern und Akademikern wurde die „Netzwerk-Scale-up-Methode“ herangezogen, anhand derer Forscher die Größe versteckter Populationen wie Drogenkonsumenten und Sexarbeiterinnen anhand von Stichproben aus sozialen Netzwerken abschätzen.

Zur Messung der Häufigkeit wurde die Anzahl von Missbrauchsopfern und Missbrauchstätern 2022 hochgerechnet sowie mit Ergebnissen aus 3.600 Umfragen mit Betroffenen sowie im Umfeld von sexuellem Missbrauch tätigen Personen ergänzt. Die Umfragen wurden landesweit auf den Hauptinseln Luzon, Visayas und Mindanao durchgeführt. Ergebnis der Schätzungen ist, dass 2022 fast eine halbe Million philippinischer Kinder sexuell missbraucht wurden, um durch Verkauf des Missbrauchsmaterials Geld zu generieren (das entspricht 1 aus 100 philippinischen Kindern). Fast eine Viertelmillion erwachsener Filipinos habe im Jahr 2022 Kinder sexuell misshandelt, um mit ihnen Missbrauchsmaterial herzustellen (das entspricht 3 aus 1.000 Filipinos). „Mit der Studie machen wir einen großen Schritt nach vorne. Erstmals gelingt es uns dadurch, die Ausmaße von sexuellem Kindesmissbrauch online, sogenanntes Livestreaming, sowie den Verkauf von sexuellem Missbrauchsmaterial Minderjähriger besser zu verstehen. Die Studie enthält auch wertvolle Anmerkungen von Opfern dieses Missbrauchs, indem ihre Inputs beim Studiendesign als auch ihre Erfahrungen in Form von Gruppendiskussionen eingearbeitet wurden“, erklärt Zoe Trodd, Professorin am Rights-Lab der Universität Nottingham.
Mithilfe von Gruppendiskussionen mit Opfern dieses Missbrauchs wurde versucht, Unwissen und Unklarheiten dieses Phänomens auf Basis ihrer gesammelten Erfahrungen zu beleuchten, Handlungsmuster von Tätern auszumachen, um ihre illegalen Tätigkeiten zu verheimlichen sowie sozio-kulturelle Faktoren zu identifizieren, die begünstigen, dass nur wenige Missbrauchsfälle von Opferseite oder vom sozialen Umfeld gemeldet werden.

Handlungsempfehlungen.

Philippinen: 2022 wurde fast eine halbe Million Kinder sexuell missbraucht
Philippinen: 2022 wurde fast eine halbe Million Kinder
sexuell missbraucht © Sascha Burkard - stock.adobe.com

In der Studie wurden zudem mehrere Handlungsempfehlungen abgeleitet, um gegen sexuellen Missbrauch mithilfe des Internets vorzugehen: Die quantitative Auswertung zeigt, dass die Erstellung von sexuellem Missbrauchsmaterial mit Kindern auf den Philippinen weit verbreitet ist und nur in wenigen Fällen vom sozialen Umfeld gemeldet wird.
Dazu trägt die geheime Art des Deliktes bei, das junge Alter der Opfer, das üblicherweise bestehende Naheverhältnis zwischen Täter und Opfer sowie soziale und kulturelle Faktoren, wonach man sich besser nicht in „fremde Angelegenheiten“ einmische. Laut Studienverfassern müssten hier verstärkt Maßnahmen auf „Community-Ebene“ gesetzt werden, um den Missbrauch klarer anzuprangern und zu stigmatisieren. Zudem müssten mehr Anlaufstellen und Maßnahmen gesetzt werden, um die Hemmschwelle zu senken, Verdachtsmomente von Missbrauch zu melden. Eine weitere Handlungsempfehlung, die der Bericht gibt, bezieht sich auf Abschreckung der Täter durch effiziente Strafverfolgung: Mehr philippinische Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, wobei den philippinischen Strafverfolgungsbehörden eine Schlüsselrolle zukomme.

Als Beispiel wird das National Bureau of Investigation, Anti-Human-Trafficking-Division genannt, das eine Polizeieinheit ist, die Verdachtsfälle von sexuellem Kindesmissbrauch über das Internet ermittelt. Es handelt sich dabei um eine vergleichsweise kleine Einheit mit Beamten in der Metropolregion Manila. Mehr Personalressourcen und die Einrichtung von regionalen NBI-Büros würden die Handlungsfähigkeiten von NBI verbessern und sich folglich in mehr Festnahmen und der Identifikation von mehr Opfern auswirken. Das führe im Umkehrschluss zu mehr Abschreckung und die Befreiung von mehr sexuell missbrauchten Kindern.

Maßnahmen.

Die Verfasser des Berichts fordern für die für den Missbrauch bezahlenden Kunden in westlichen Ländern Haftstrafen, die ihren Handlungen angemessen sind. Zudem sollten Möglichkeiten erwogen werden, in denen die westlichen Täter Schmerzensgeld an die von ihnen sexuell missbrauchten Opfer auf den Philippinen zahlen, um ihr Trauma zu verarbeiten.
Für eine umfassende Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch müsse zusätzlich mithilfe technologischer Maßnahmen angesetzt werden: Präventive Maßnahmen unter Nutzung technologischer Mittel, etwa durch Integration von spezieller Technologie in Live-Video-Apps, die den sexuellen Miss­brauch Minderjähriger erkennt, könnte Online-Missbrauch effizient unterbinden. Vor allem bei Video-Chat-Apps, die häufig für die Produktion von derartigem Missbrauchsmaterial genutzt werden bzw. die zur Live-Übertragung genutzt werden, müsse angesetzt werden. Die philippinische Regierung solle auch Hersteller von kamerafähigen Geräten, wie Telefone, Tablets und Laptops in die Pflicht nehmen, und den Einsatz derartiger Sicherheitstechnologie forcieren. Die derzeit im Umlauf befindlichen Geräte seien nicht „Safe by Design“, da sie ganz ohne Technologie zur Erkennung und Verhinderung von Missbrauchsmaterial von Kindern erstellt wurden und daher die Verbreitung von sexuellen Missbrauchsfotos oder Missbrauchsvideos geradezu unterstützen.

Kooperation mit Zahlungsdienstleistern.

Eine weitere zentrale Handlungsempfehlung zielt auf eine verbesserte Kooperation mit internationalen Zahlungsdienstleistern ab: Es brauche ein verbessertes Monitoring von Finanztransaktionen, um verdächtige Zahlungen zu erkennen und die Bereitschaft, dieses Monitoring von Seiten der Zahlungsdienstleister zu intensivieren und verdächtige Zahlungen rasch zu blockieren. Ohne Bezahlung durch die Konsumenten würde der sexuelle Kindesmissbrauch seine Anreize verlieren, weshalb die verstärkte Analyse von verdächtigen Zahlungsflüssen durch die Finanztransaktionsdienstleister forciert werden müsse.
Wichtig wäre zudem, dass verdächtige Zahlungsbewegungen vollständig gesammelt und Daten nicht nur auf ein Minimum begrenzt erfasst werden. So werden eine Basis und eine Handlungsgrundlage für eine weitergehende Analyse in Verdachtsfällen geschaffen. Bereits im Jahr 2020 hat IJM eine Studie publiziert, in der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch mithilfe des Internets quantitativ ausgewertet wurden. Demnach waren Missbrauchsopfer im Schnitt elf Jahre alt, wobei das jüngste misshandelte Kind nicht einmal 12 Monate alt war. Sofern es zu keinem Einschreiten kam, dauerte der sexuelle Missbrauch im Schnitt zwischen zwei Monaten und vier Jahren – im Durchschnitt zwei Jahre.

Täter.

In den meisten Fällen sind die Täter Bezugspersonen, Angehörige aber jedenfalls Personen, die dem Missbrauchsopfer bekannt sind. 65 Prozent aller philippinischen Täter in den analysierten Fällen waren weiblich und zwischen 15 und 76 Jahre alt. Ihr Altersdurchschnitt lag bei 27 Jahren. 97 Prozent der Täter waren philippinische Staatsbürger, nur in fünf untersuchten Fällen handelte es sich um ausländische Staatsbürger. Im Schnitt hat jeder philippinische Täter 3,5 Kinder sexuell missbraucht.

Die Konsumenten des Missbrauchsmaterials sind typischerweise aus westlichen Ländern (z. B. USA, Großbritannien, Australien, Kanada und der EU). Sie überweisen Geld mithilfe internationaler Zahlungsdienstleister, um den sexuellen Missbrauch in Echtzeit zu verfolgen oder davon Fotos oder Videos zu erhalten.

Die Kindesmissbrauchsstudie ist abrufbar unter www.ijm.org.ph/resources .


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2024

Druckversion des Artikels (PDF 237 kB)