Rechtsschutztag

30 Jahre Sicherheitspolizeigesetz

Am Rechtsschutztag 2023 im Bundesministerium für Inneres widmeten sich die Teilnehmer dem ­Sicherheitspolizeigesetz (SPG), das 1993 in Kraft trat.

Mehr als 100 Vertreterinnen und Vertreter aus Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wissenschaft nahmen am 10. November 2023 am 18. Rechtsschutztag des Innenressorts teil, der diesmal im Festsaal des Bundeskriminalamts stattfand. Der Rechtsschutztag wurde vor 20 Jahren aufgrund einer Anregung des ehemaligen Rechtsschutzbeauftragten der Justiz, Hon.-Prof. Dr. Rudolf Machacek, erstmals organisiert und gilt heute als zentrale rechtswissenschaftliche Tagung im Bundesministerium für Inneres.
Bundespräsident Univ.-Prof. Dr. Alexander Van der Bellen richtete zu Beginn des Rechtsschutztages seine Grußbotschaft an die Teilnehmenden, die von Mag. Barbara Reininger, der Leiterin der Abteilung Justiz- und Verwaltungsrechtsangelegenheiten in der Präsidentschaftskanzlei, überbracht wurde. Das Staatsoberhaupt erinnerte dabei an den aktuelle Vertrauensindex von APA und OGM, in dem die österreichische Polizei den 2. Platz nach der Volksanwaltschaft einnimmt. Dieser Spitzenplatz sei unter anderem dem „verhältnismäßigen Einsatz der sicherheitspolizeilichen Instrumente im Lichte der Grundrechte und dem verantwortungsvollen Gebrauch des offenstehenden Ermessens“ zuzuschreiben.
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Thienel, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, befasste sich in seinem Eingangsstatement mit der rasanten Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI), von der auch das Polizeirecht betroffen sein werde. So müsse man sich etwa die Frage stellen, wie man zukünftig KI-basierte Kriminalität effektiv bekämpfen könne.

Rechtsschutztag: Verena Weiss, Ludwig Adamovich, Barbara Reininger, Lisa Pühringer, Rudolf Keplinger, Bernd-Christian Funk, Rudolf Thienel, Ewald Wiederin, Wolf Szymanski, Eckart Ratz, Gregor Wenda
Rechtsschutztag: Verena Weiss, Ludwig Adamovich, Barbara
Reininger, Lisa Pühringer, Rudolf Keplinger, Bernd-Christian
Funk, Rudolf Thienel, Ewald Wiederin, Wolf Szymanski,
Eckart Ratz, Gregor Wenda © Gerd Pachauer

Die Vorträge des Rechtsschutztages wurden von Mag. Verena Weiss, Leiterin der Abteilung für grundsätzliche Rechtsangelegenheiten und Datenschutz im BMI, moderiert.
Em. Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Universität Wien, schilderte in seinem Referat die „Rechtslage vor dem Sicherheitspolizeigesetz“. Die für die Polizei vorhandenen Regelungen seien „vielfach lückenhaft, normativ, sprachlich und funktional inkonsistent und für eine effiziente und rechtsstaatlich einwandfreie Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben nicht geeignet“ gewesen. Besondere Regelungserfordernisse bestanden für das Verwenden personenbezogener Daten im Rahmen der Sicherheitspolizei. Das SPG stellte für Funk eine Zäsur und den Anfang einer Entwicklung dar, deren „legislative Linien – auch als Kontraste – weit in die Vergangenheit und Vorvergangenheit der Republik reichen“.
Dr. Wolf Szymanski, ehemaliger Leiter der Legistikabteilung und zuletzt Sektionschef im BMI, erläuterte die legistische Umsetzung des Sicherheitspolizeigesetzes. Lange habe die Exekutive wenig Bereitschaft gezeigt, die Sicherheitspolizei zu kodifizieren und hielt sich dabei wohl an das Motto: „Besser eine gesunde Unklarheit, als eine ungesunde Klarheit.“ Erste Pläne für ein „Polizeibefugnisgesetz“ gingen auf den Lucona-Untersuchungsausschuss zurück, der im Juni 1989 empfahl „Befugnisse der Staatspolizei zur Überwachung von Personen“ genau zu determinieren. Innenminister Franz Löschnak erteilte darauf den Legisten im BMI den Auftrag, einen Gesetzesentwurf zu erstellen. Hierfür wurde eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Univ.-Prof. Bernd-Christian Funk gebildet und mit dieser bis Juli 1990 eine erste Regierungsvorlage für ein „Sicherheitspolizeigesetz“ erarbeitet und eingebracht; die Bezeichnung wurde hierbei an die Materie angelehnt, „Polizeibefugnisse“ gibt es auch in anderen Materien. Dieser Entwurf wurde wegen des Endes der Legislaturperiode nicht mehr weiterverfolgt. Dennoch nützte die Arbeitsgruppe die Zeit, den Entwurf weiterzuentwickeln. Alle Verfassungsbestimmungen wurden nicht mehr direkt im SPG, sondern in den Art 78a ff B-VG verankert. Im Mai 1991 kam es zu einer neuerlichen Regierungsvorlage, im Oktober 1991 wurde das SPG im Nationalrat beschlossen. Es trat mit 1. Mai 1993 in Kraft. Szymanski zitierte den früheren Verfassungsgerichtshof-Präsidenten Dr. Karl Korinek, der das Formulieren von Gesetzen als eine Art Komponieren, nämlich als „Nomopoetik“, bezeichnet habe – es gehe um das „Ordnen, Gestalten und Harmonieren.“ Dem Gesetz habe der damalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Mag. Michael Sika, hohe Praxistauglichkeit attestiert. Diese sei wohl bis heute – ungeachtet der mehr als 50 Novellen – in der ursprünglich entwickelten Struktur erhalten geblieben.
Zu einer ähnlichen Bilanz kam Dr. Lisa Pühringer von der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im BMI, die einen Überblick über zentrale SPG-Novellen der letzten 30 Jahre bot. Als eine der bedeutenden Novellen bezeichnete sie das Gewaltschutzgesetz 1997, das einen grundlegenden Dogmenwechsel einläutete. Gewalt an Frauen wurde explizit als Menschenrechtsverletzung definiert, der Schutz der körperlichen Integrität endete nicht an der Wohnungstüre. Zu weiteren Meilensteinen gehörten die Reformen des Verfassungsschutzes und die Einführung des Rechtsschutzbeauftragten. Mit dem „Polizeilichen Staatsschutzgesetz“ sei ein neuer Weg beschritten worden, da staatspolizeiliche Aufgaben und Befugnisse aus dem SPG herausgelöst und in ein eigenes Gesetz gegossen wurden. Im Zuge der Reform des BVT sei dann ein neues Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetz geschaffen worden, mit dem Staatsschutz und Nachrichtendienst organisatorisch und inhaltlich getrennt wurden. Auch die großen Organisationsreformen der Wachkörperzusammenlegung 2005 und der Behördenreform 2012 sowie die Weiterentwicklung der Datenverarbeitungs-Ermächtigungen nannte Pühringer als signifikante Novellen.
Prof. Dr. Rudolf Keplinger, stv. Landespolizeidirektor der LPD Oberösterreich, befasste sich mit der praktischen Bedeutung des Sicherheitspolizeigesetzes aus der Perspektive der Sicherheitsbehörde. Er sei überzeugt, dass es sich beim SPG um ein „gutes Gesetz“ handle, betonte Keplinger – gerade im Lichte des Umstandes, dass das SPG einst „auf die grüne Wiese gestellt“ worden sei und kein Vorgängergesetz existiert habe. Den Sicherheitsorganen werde eine gute Grundlage an die Hand gegeben, um tätig werden zu können. Die steigende Anzahl verletzter Kollegen zeige jedoch, dass bei Amtshandlungen zunehmend erhöhtes Gefährdungspotenzial gegeben sei. Keplinger griff Änderungsvorschläge auf, die zukünftig ins SPG Einzug halten könnten, insbesondere die Aufnahme einer grundsätzlichen Befugnis zur Gewährleistung der Eigensicherung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, aber auch eine mögliche Neufassung des organisationsrechtlichen Teils des SPG (§§ 2 bis 15a), eine Begriffsänderung bei der Befugnis zur Erlassung von Platzverboten, um Missverständnisse in der Praxis zu vermeiden, die Aufnahme einer grundsätzlichen Befugnis zur Gewährleistung der Eigensicherung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Schaffung einer Qualifizierung in der Verwaltungsstrafnorm des § 81 SPG („Gemeinschaftliche schwere Störung der Ordnung“), um bei Vorfällen wie zu Halloween 2022 in Linz entsprechende Strafen verhängen zu können.
Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin, Universität Wien, widmete sich einer Bewertung der letzten 30 Jahre des Sicherheitspolizeigesetzes in einer „Außenperspektive“. Für ihn sei es „revolutionär“, dass das Gesetz erstmals zwischen Aufgaben und Befugnissen getrennt habe. Es handelte sich um ein Beispiel für eine „gelungene finale Programmierung“.
Zu den weiteren Innovationen des SPG zählte er die Verwaltungsakzessorietät der ersten allgemeinen Hilfeleistung, die Strafrechtsakzessorietät der Gefahrenabwehr, die Ermächtigungen zur Informationsverarbeitung, den eingeführten Rechtsschutz gegen schlichte Hoheitsverwaltung und die ermöglichte „Richtlinienbeschwerde“. Die Strahlkraft des SPG rage heute bis ins Militärbefugnisgesetz und ins Strafprozessreformgesetz hinein.
30 Jahre seien für ein Gesetz „ein respektables Alter“ – das SPG habe sich gut gehalten, eine Polizei ohne das SPG sei nicht mehr vorstellbar. Unter all den Jahrhundertreformen“, zeigte sich der Professor überzeugt, „war die Sicherheitspolizeireform eine der wichtigsten“.

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2024

Druckversion des Artikels (PDF 230 kB)