Landeskriminalamt Wien

Straftäter im Visier

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes des Landeskriminalamts Wien sind für die Aufklärung von Kapitalverbrechen zuständig. Es gelang ihnen 2023 alle Morde in Wien aufzuklären.

Bei Kapitalverbrechen wie Mord wird eine polizeiliche Kommission eingesetzt, der ein Amtsarzt oder eine Amtsärztin angehört sowie ein Polizeijurist und Kriminalbeamter
Bei Kapitalverbrechen wie Mord wird eine polizeiliche Kommission eingesetzt, der ein Amtsarzt oder eine Amtsärztin angehört sowie ein Polizeijurist und Kriminalbeamter © Gerd Pachauer (gestellte Szene)

Am Morgen des 12. Juli 2023 meldete sich eine Frau am Notruf der Wiener Polizei. Sie sprach schnell, ihre Stimme überschlug sich. Gerade eben hatte sie während ihres Spazierganges am Uferweg entlang der Donau einen Mann vorgefunden: reglos, auf einer Sitzbank liegend. Weil sie an ihm keine Lebenszeichen wahrnehmen konnte, griff sie zu ihrem Handy und holte Hilfe. Nur wenige Minuten später traf der erste Streifenwagen am Fundort, am Handelskai im 20. Wiener Gemeindebezirk, ein. Die Rettungsleute konnten nur noch den Tod des Mannes feststellen. Da an der Leiche Einstichspuren und Blut an Körper und Gesicht erkennbar waren und aufgrund der Gesamtsituation vor Ort, gingen die Polizisten von Fremdverschulden aus. Sie verständigten Kolleginnen und Kollegen, die für derartige Fälle zuständig sind: Von hier weg übernimmt die „Gruppe Bauer“ des Ermittlungsdienstes im Landeskriminalamt (LKA) Wien.
Immer, wenn es darum geht, Straftaten in der Bundeshauptstadt aufzuklären oder zu verfolgen, kommen die Ermittlerinnen und Ermittler des LKAs ins Spiel. Welche Fälle die Teams übernehmen, ist in der Kriminaldienst-Richtlinie geregelt. Die Liste der Aufgaben reicht von Ermittlungen gegen kriminelle Verbindungen, Delikten unter Verwendung einer Schuss­waffe, Bränden und bedenklichen Todesfällen über Entführungen, Erpressungen und Raubdelikte, bis hin zu Schlepperei, Zuhälterei und Menschenhandel. Mit Ausnahme von Verkehrsunfällen beinhaltet sie auch alle Tötungsdelikte und „Delikte mit Todesfolge“ – und ein solcher schien beim beschriebenen Fall im Sommer 2023 vorzuliegen.

Obdachloser als Opfer.

Auf einer Parkbank in Wien-Brigittenau wurde ein getöteter Obdachloser gefunden
Auf einer Parkbank in Wien-Brigittenau wurde ein getöteter
Obdachloser gefunden © Georg Hochmuth/APA/
picturedesk.com

Im Protokoll hielten die Ermittler fest: Bei der Begutachtung des Auffindungsortes wurde festgestellt, dass der Auffindungsort nicht der Tatort sein konnte. Rund 350 Meter stromaufwärts wurden am Treppelweg bei einer Sitzbank eine frische Blutlache auf und unter der Bank sowie Blutspuren am Weg vorgefunden. Die Polizeidiensthundeeinheit wurde angefordert, die Hunde konnten die Blutspuren von der Sitzbank bis zur Leiche nachverfolgen. Der Journaldienst der Staatsanwaltschaft Wien ordnete die Obduktion des Opfers an. Noch vor Ort wurden an der Leiche sechs Stichverletzungen im Bauch und an der Schulter festgestellt. Für das Team stand fest: Es handelte sich um Mord. Opfer war der ungarische Staatsbürger Ferenc K., der als Obdachloser in Wien lebte.
„Bei einem Mord setzen wir alles daran, den Täter oder die Täterin zu finden“, sagt Oberst Gerhard Winkler. Er leitet den Ermittlungsdienst im LKA Wien mit rund 240 Kriminalpolizisten und -polizistinnen. Dazu kommt die Fachaufsicht über fünf Außenstellen des LKAs. Gerhard Winkler: „Im Ermittlungsdienst bündeln wir die kriminalpolizeiliche Erfahrung von vielen Kolleginnen und Kollegen.“

Fahndung nach dem Obdachlosenmörder
Fahndung nach dem Obdachlosen-
mörder © Polizei

Im Großraum Wien lebt rund ein Drittel der österreichischen Bevölkerung. 2022 ereigneten sich knapp 35 Prozent der Kriminalfälle in Österreich. Für dasselbe Jahr weist die „Polizeiliche Kriminalstatistik“ in der Bundeshauptstadt 85.295 ausgeforschte Verdächtige aus. „Allein der Bezirk Favoriten mit mehr als 218.000 Menschen wäre nach Wien und Graz die drittgrößte Stadt Österreichs“, sagt Gerhard Winkler.
Zehn Tage nach Auffindung des toten Obdachlosen an der Donau überlebte die 51-jährige Slowakin Iveta S. einen Angriff mit einem Messer. Trotz schwerer Verletzungen gelang es ihr, Alarm zu schlagen. Die Attacke erfolgte kurz vor 4 Uhr morgens im Venediger-Au-Park, wo die Frau geschlafen hatte. Angaben zum Täter konnte sie keine machen, zu sehr wurde sie von ihm überrascht. Wieder traf es eine Person aus dem Obdachlosenmilieu, Uhrzeit und Modus der Tatausführung waren dem ersten Fall ähnlich. „Die Auswahl der Opfer, die massiven Messerstiche gegen den Oberkörper und die Schulter, all das ließ nur den Verdacht zu, dass wir es mit einem Serientäter zu tun hatten“, sagt Winkler.
Die Ermittlungen wurden verstärkt. Die Beamtinnen und Beamten suchten nach Zusammenhängen, nach einer Beziehung zwischen dem Täter und seinen Opfern. Maßgebliche Unterstützung kam von den Kolleginnen und Kollegen des Assistenzdienstes. Dieser bildet neben dem Ermittlungsdienst den zweiten Arbeitsbereich des Landeskriminalamts. Die Spezialistinnen und Spezialisten sind unter anderem für die Spurensicherung an den Tatorten und für DNA-Analysen zuständig oder sie arbeiten in der Abteilung „Operative Fall-Analyse“ und versuchen, geografische Ankerpunkte des Täters zu finden. Wo könnte er wohnen? Wie sucht er die Tatorte aus? „Wir haben für diesen Fall alles ausgeschöpft, was verfügbar war“, sagt Winkler.
Voriges Jahr beschäftigte den Ermittlungsdienst des LKAs Wien eine Reihe von Fällen. Denkt Gerhard Winkler an das Jahr 2023 zurück, fällt ihm eine Serie mit sechs Banküberfällen ein, die seine Teams klären konnte. Er erwähnt Wirtschaftskriminalfälle mit oft außergewöhnlicher finanzieller Dimension. Oft waren Prominente involviert.

Trends.

Von der Polizei sichergestellte Tatwaffe
Von der Polizei sichergestellte Tatwaffe
© Eva Manhart/APA/picturedes.com

Die Kriminalität verändert sich, die Ermittlerinnen und Ermittler des LKAs müssen am Ball bleiben. Vor allem die Internetkriminalität nimmt zu. In den vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der Anzeigen auf diesem Gebiet mehr als versechsfacht. 2022 stieg sie um 30 Prozent, bezogen auf Cybercrime im engeren Sinne um 43 Prozent.
Auch die Wirtschaftskriminalität „boomt“. Die Beamtinnen und Beamten des Ermittlungsdienstes sind mit vielen Formen des Betrugs konfrontiert. Die aktuellsten Varianten sind der „falsche Polizist“, bei dem sich Betrüger als Exekutivbeamte ausgeben und ältere Personen überreden, zur eigenen Sicherheit Geld und Wertgegenstände abzugeben. Auch der „Kautionstrick“ findet seine Opfer: Dabei behaupten Kriminelle am Telefon, eine Verwandte oder ein Verwandter der oder des Kontaktierten habe einen Unfall verursacht und könne nur vor der Haft bewahrt werden, wenn eine Kaution hinterlegt werde. Stagnierend oder eher rückläufig war 2022 die Zahl der Fälle von Trickbetrügereien und Suchtmitteldelikten.

Weiteres Opfer im Obdachlosenmilieu.

. Am 9. August, gegen 2 Uhr morgens, sah ein Autolenker am Hernalser Gürtel einen am Straßenrand sitzenden Mann mit stark blutender Kopfwunde. Beinahe zeitgleich wurde die Besatzung eines Funkwagens auf das stehende Fahrzeug des Zeugen aufmerksam und hielt ebenfalls an. Die Beamten begannen mit der Erstversorgung, die Rettungskette wird in Gang gesetzt.
Das Opfer war bei Bewusstsein, konnte aber aufgrund der Schwere seiner Verletzungen und wegen des starken Blutverlustes keine Angaben zu den näheren Umständen machen. Der Tathergang blieb unklar. Augenscheinlich gehörte das Opfer gehört dem Obdachlosenmilieu an. Die erste Tatortaufnahme sowie die Sicherung der Spuren wurde von Bediensteten der LKA-Außenstelle „Mitte“ durchgeführt. Da es sich um den dritten Angriff auf eine schlafende, unterstandslose Person handelte, übernahm das Team des Ermittlungsdienstes.
Die Hoffnung der Ermittler, endlich eines der Opfer befragen zu können, währte nur kurz: Vier Tage später, am 13. August, starb Vasile P. Die Kriminalpolizisten kämpften nun auch gegen die Zeit. Zu groß war die Gefahr, dass die Serie der „Obdachlosenmorde“ weiterging. „Wenn man keine Täter-Opfer-Beziehung erkennen kann, ist eine Aufklärung besonders schwer“, sagt Winkler. „Die Kolleginnen und Kollegen haben ab diesem Zeitpunkt alle Körperverletzungen in Zusammenhang mit Obdachlosen untersucht, haben sich alle Fälle von Messerstechereien angesehen. Und sie standen mit allen relevanten Betreuungseinrichtungen in Kontakt.“ Dort fragten die Beamten nach verdächtigen Wahrnehmungen und sie warnten potenzielle Opfer. Die Ermittler analysierten unzählige Stunden an Video-Aufnahmen aus dem öffentlichen Raum rund um die Tatorte. Wochenlang waren sie damit beschäftigt. In der Nähe des dritten Tatorts erkannten sie auf Überwachungsvideos einen Verdächtigen.

Gerhard Winkler: „Eine öffentliche Fahndung bewirkt auch etwas im Täter.“
Gerhard Winkler: „Eine öffentliche Fahndung bewirkt auch
etwas im Täter.“ © Bernhard Elbe

Eine Öffentlichkeitsfahndung wurde von der Staatsanwaltschaft bewilligt. Für Hinweise, die zur Ausforschung des Täters führten, wurden vom Verein der Freunde der Wiener Polizei 10.000 Euro ausgelobt. „Eine öffentliche Fahndung bewirkt auch etwas im Täter“, sagt Gerhard Winkler. „Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder jemand erkennt ihn auf den Bildern oder der Druck wird ihm zu viel und er stellt sich.“
Zunächst mussten die Kriminalbeamten mehr als 200 Hinweise überprüfen. „Ein Knochenjob“, sagt Winkler Am Nachmittag des 11. Dezember betrat ein 17-Jähriger eine Polizeiinspektion in Wien und gab an, die beiden Morde und den Mordversuch begangen zu haben.
Laut Winkler habe es der Täter nicht auf Obdachlose abgesehen gehabt. Offenbar habe er „ein Ventil für seine Wut gebraucht“. Ausschlaggebend seien drei Kriterien gewesen: Die Opfer mussten leicht verfügbar sein, er musste ungestört handeln können, und die Opfer mussten wehrlos sein. Seine Taten habe der 17-Jährige gezielt geplant, er habe sich vermummt, etwa mit einer Kappe, tief ins Gesicht gezogen. Als Tatwaffe habe er ein Messer benutzt. Er war bis zu seinen Gewalttaten polizeilich kaum auffällig. Im September bekam er es mit den Beamten wegen seines Drogenkonsums zu tun, „er war Konsument von Ecstasy, Kokain und Heroin“, sagt Winkler, und zum anderen wegen eines Streits mit seiner Mutter, die die Polizei verständigte. Ein Haftgrund lag laut Winkler nicht vor. „Es geht nicht spurlos an dir vor­über, wenn ausgerechnet jene, die ohnehin ganz unten sind in unserer Gesellschaft, angegriffen werden“, sagt Winkler. Der Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen zollt er Respekt: „Im vergangenen Jahr gab es in Wien 18 Morde, von denen wir alle aufklären konnten. Eine Aufklärungsquote von hundert Prozent, das ist mein Qualitätsanspruch.“

Streit um 9.000 Euro.

Im Marchfeldkanal in Wien-Floridsdorf wurden Leichenteile entdeckt
Im Marchfeldkanal in Wien-Floridsdorf wurden Leichenteile
entdeckt © Barbara Buchegger/APA/picturedesk.com

Im Jänner 2024 gelang es den Ermittlern, einen weiteren Mord zu klären. Ein Angler fischte am 13. Jänner 2024 einen abgetrennten linken Fuß aus dem Marchfeldkanal in Wien und alarmierte die Polizei. In Zusammenarbeit mit der Wasserpolizei und den Tauchern des EKO Cobra sowie der Hundestaffel wurden weitere Leichenteile gefunden. Ein DNA-Abgleich bestätigte die Identität des Opfers. Es war ein 45-jähriger Iraner, der seit 15. November 2023 verschwunden war. „Wir haben das Verschwinden des Iraners als bedenklich eingestuft und Ermittlungen aufgenommen“, sagt Winkler. Seit Dezember 2023 war die Staatsanwaltschaft Wien in die Ermittlungen eingebunden. Es wurde die Wohnung des Vermissten in Hietzing durchsucht, seine Handydaten wurden ausgewertet und seine Kontobewegungen überprüft.
Bald konzentrierten sich die Ermittler auf einen Freund des Opfers, einen 38-jährigen Iraner. Er soll den 45-Jährigen dazu überredet haben, seinen Job bei den Wiener Linien aufzugeben und mit ihm ein Transportunternehmen zu gründen. Der Verdächtige habe gegenüber der Familie versucht, das Verschwinden des 45-Jährigen kleinzureden. Laut der Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Nina Bussek, wurde der Mann observiert und seine Rufdaten wurden rückerfasst. Die Polizei hielt ihn am 30. Jänner auf einer Bundesstraße bei Laa an der Thaya an, wo er Richtung Grenze unterwegs war. Er wurde festgenommen. Bei der Vernehmung gab er zu, dass er sich mit dem 45-Jährigen in dessen Wohnung in Hietzing getroffen und ihn dort zur Rede gestellt habe.
Laut Winkler ging es um einen Geldbetrag von 9.000 Euro, den das Opfer dem 38-Jährigen laut dessen Aussage unterschlagen haben soll. Dabei sei es zum Streit und zu einem Gerangel gekommen, infolgedessen der Jüngere dem 45-Jährigen mit einem Hammer mehrmals auf den Kopf schlug, den er zur Aussprache mitgebracht hatte. Den Hammer entsorgte der 38-Jährige auf der Ladefläche eines Pritschenwagens bei einer Baustelle in Währing, in der Hoffnung, dass das Auto mit der Tatwaffe wegfahren würde. Doch das war nicht der Fall und der Hammer wurde von den Ermittlern sichergestellt.
In der Wohnung des Opfers werden Blutspuren sichergestellt, deren DNA-Analyse aber noch aussteht. Die Räume wurden gründlich geputzt, wie die Ermittler feststellten. Wie der Verdächtige die Leiche des Mannes zerteilt und im Marchfeldkanal entsorgt hat, ist noch Gegenstand von Ermittlungen.
„Der Tatverdächtige hat widersprüchliche Angaben in seiner Vernehmung gemacht. Ob das Schutzbehauptungen sind, ist Gegenstand weiterer Ermittlungen“, sagt Winkler. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt wegen des Verdacht des Mordes gegen den Verdächtigen, der in die Justizanstalt Josefstadt überstellt wurde.

Kurt Kreiblich/Herbert Zwickl


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2024

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