Misshandlungsvorwürfe

Objektive Ermittlungen

Die „Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe“ (EBM) hat am 22. Jänner 2024 als Abteilung 4 des Bundesamtes zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) ihre Arbeit aufgenommen.

Lukas Berghammer: „Wir widmen uns unvoreingenommen jedem Verdacht oder Vorwurf einer Misshandlung.“
Lukas Berghammer: „Wir widmen uns
unvoreingenommen jedem Verdacht
oder Vorwurf einer Misshandlung.“
© BAK

Mit der EBM werden Ermittlungen bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizistinnen und Polizisten (nicht umfasst sind Angehörige von Gemeindewachkörpern) im BAK gebündelt. Jeder Verdacht oder Vorwurf einer Misshandlung durch Polizeibedienstete wird von den Ermittlerinnen und Ermittlern der EBM untersucht. Unter dem Begriff der Misshandlung sind vorsätzliche strafbare Handlungen gegen Leib und Leben im Rahmen einer dienstlichen Tätigkeit ohne Zusammenhang mit der Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt, (fahrlässige oder vorsätzliche) strafbare Handlungen gegen Leib und Leben bei unverhältnismäßiger Aus­übung unmittelbarer Zwangsgewalt sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen im Rahmen einer dienstlichen Tätigkeit zu verstehen. Innerdienstliches Fehlverhalten oder allgemeine Beschwerden, die nicht im Zusammenhang mit Miss­handlungen stehen, sind davon nicht umfasst. Darüber hinaus ist die EBM bundesweit für kriminalpolizeiliche Ermittlungen bei Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt mit Todesfolge und lebensgefährdendem Waffengebrauch zuständig. Sie wird dabei auf die Unterstützung der in der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit eingerichteten Ermittlerteams zurück­greifen können.

Mag. Lukas Berghammer, MSc wurde mit dem 22. Jänner 2024 zum Leiter der EBM bestellt. Er ist bereits seit 2008 als Jurist im BMI bzw BAK tätig und bekleidete unter anderem die Funktionen der Referatsleitung der Korruptionsbekämpfung im privaten Sektor, der Abteilungsleitung des operativen Dienstes und nahm interimistisch die Leitung des BAK wahr. Nun widmet er sich der neuen Aufgabe als Leiter der Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe.

Warum haben Sie diese neue Aufgabe übernommen?
Die Polizei genießt in Österreich ein sehr hohes Vertrauen der Bevölkerung, und ich bin davon überzeugt, dass die EBM einen wichtigen Beitrag leisten kann, um diese Wertschätzung zu verfestigen. Ich habe bereits viele Jahre Erfahrung im Ermittlungsbereich des Bundesamtes zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung sammeln können und bin daher mit Ermittlungen wegen des Verdachts des Miss­brauchs anvertrauter Macht durch Ressortbedienstete gut vertraut.

Bereits im Vorfeld gab es Vorbehalte gegen die neue Stelle im BMI – für die einen zu abhängig vom Ressort, um objektiv ermitteln zu können, für die anderen illoyal dem eigenen Dienstgeber gegenüber – wie entgegnen Sie diesen Vorbehalten?
Der Gesetzgeber hat durch mehrere Maßnahmen dafür Sorge getragen, dass die EBM ihre Arbeit ohne unzulässige Einflussnahme wahrnehmen kann. Im Besonderen ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass die EBM außerhalb der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit eingerichtet ist, um die Unabhängigkeit vom Polizeiapparat zu gewährleisten. Für allfällige Weisungen zur Sachbehandlung in einem bestimmten Verfahren ist ein Höchstmaß an Transparenz sichergestellt.
Was bei uns zählt ist Objektivität. Wir widmen uns unvoreingenommen jedem Verdacht oder Vorwurf einer Misshandlung und sammeln sowohl belastende als auch entlastende Beweise. Die EBM nimmt keine Beurteilung der von ihr erhobenen Sachverhalte vor. Diese Aufgabe obliegt den Justiz- und Dienstbehörden, den Dienstvorgesetzten sowie allenfalls der Bundesdisziplinarbehörde. Bei uns geht es darum, festzustellen, was tatsächlich passiert ist. Es ist unsere Aufgabe, sämtliche Umstände und Beweise zu erheben, die für die Klärung der Frage, ob der Verdacht oder Vorwurf einer Misshandlung begründet ist, erforderlich sind. Wir gehen neutral an jede Ermittlung heran. Das ist unser Anspruch, und das kann auch von uns erwartet werden. Somit muss sich niemand fürchten, dem nichts vorzuwerfen ist. Gleichzeitig ist es – denke ich – aber nicht nur im Sinne der Bevölkerung, sondern auch der Kollegenschaft, Fehlverhalten in Form von Misshandlungen auf den Grund zu gehen und durch sorgfältige und objektive Ermittlungsarbeit aufzudecken.

Die „Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe“ befindet sich am Sitz des Bundesamtes zur Korruptions prävention und Korruptionsbekämpfung in der Meidlinger Kaserne in Wien
Die „Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe“ befindet sich am Sitz des Bundesamtes zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung in der Meidlinger Kaserne in Wien © BMI/Gerd Pachauer

 

Mit welchen Erwartungen seid ihr dabei konfrontiert?
Ich habe schon von Erwartungen gehört, dass mit Aufnahme der Tätigkeit die Verurteilungszahlen in die Höhe gehen werden. Dies ist aber definitiv nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, die uns zur Kenntnis gelangten Verdachtsmomente einer Misshandlung gründlich und objektiv zu erheben und dabei sowohl entlastende und als auch belastende Beweise und Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen. Ob das Ergebnis der Ermittlungen der EBM letztlich zu einer Verurteilung führt, darf für sich genommen kein Qualitätskriterium für die Tätigkeit der EBM sein.

Was sind die nächsten Schritte?
Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben schon vor unserem Tätigwerden am 22. Jänner 2024 Schulungen im Bereich der Menschenrechte, Vernehmungstechnik etc. absolviert und werden demnächst diese fundierte Ausbildung der SIAK abschließen können. Das Melde- und Informationssystem ist aufgesetzt – nun werden wir sehen, wie es sich in der Praxis bewährt und wo wir Anpassungen vornehmen müssen. Dabei werden wir auf die Unterstützung des für die EBM eingerichteten Beirates zurückgreifen, um eine entsprechende Qualitätssicherung zu gewährleisten. Diese Transparenz ist uns wichtig, und wir werden die anstehenden Evaluierungen nicht scheuen und gerne aus unseren Erfahrungen lernen.

Wo liegen die großen Herausforderungen?
Ein besonders komplexer Aufgabenbereich sind die Ermittlungen im Zusammenhang mit lebensgefährdendem, insbesondere tödlichem Waffengebrauch und Zwangsgewalt mit Todesfolge. Hier ist die professionelle Zusammenarbeit aus vielen Ermittlungsbereichen gefragt. Daher möchten wir bei Bedarf mit den Expertinnen und Experten in den LKAs professionell zusammenarbeiten und auf deren Expertise, insbesondere im Bereich der Tatortarbeit, zurückgreifen.

Wird in der EBM auch präventiv gearbeitet?
Die Kernaufgabe liegt zwar in der Ermittlungstätigkeit, aufgrund der vom Gesetzgeber vorgegebenen multiprofessionellen Zusammensetzung der EBM, die derzeit durch eine Psychologin und einen Menschenrechtsexperten unterstützt wird, sollen aber auch – über den Einzelfall hinausgehende – Erkenntnisse in entsprechende Präventionsarbeit einfließen können.
Jeder Polizist/jede Polizistin erhält bereits jetzt eine fundierte Ausbildung, bei der die Anwendung von Zwangsgewalt trainiert wird. Ebenso stehen Menschenrechte und korrektes integres Polizeiverhalten in den Polizeischulen auf der Tagesordnung. Durch Verhaltenskodices, Ethikerklärungen, laufende Schulungen und auch die Möglichkeit sich an Compliance-Officer zu wenden, bietet das BMI bereits viele unterstützende präventive Möglichkeiten an. Wichtig sind aber darüber hinaus die Wertehaltung jedes einzelnen, die Ressort– und Fehlerkultur und auch die Vorbildfunktion der jeweils Dienstvorgesetzten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Innenministeriums sollen keinen Nachteil fürchten müssen, wenn sie im guten Glauben Missstände melden, damit diese behoben werden können. Noch viel schöner wäre es aber, wenn es gar keinen Grund zur Meldung geben würde. Das liegt aber an jedem einzelnen Mitarbeiter und jeder einzelnen Mitarbeiterin des BMI.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2024

Druckversion des Artikels (PDF 633 kB)