Forum I/A

Möglichkeiten der Sicherheitspolitik

Was bedeutet Sicherheitspolitik? Welche Beispiele gelingender oder mangelnder Gestaltung gibt es, und welche Möglichkeiten kann die künftige österreichische Sicherheitsstrategie eröffnen? Auf diese Fragen ging Gruppenleiter Wilhelm Sandrisser beim Forum I/A am 13. November 2023 ein.

Mit Fragen zur äußeren und inneren Sicherheitspolitik ist Wilhelm Sandrisser seit Jahrzehnten befasst. Aufgrund anstehender Herausforderungen, etwa zum Thema Digitales, und weil er seit dem Frühjahr 2023 aktiv am Entwurf einer neuen Österreichischen Sicherheitsstrategie mitarbeitet, suchte der Gruppenleiter dazu den Austausch mit den Führungskräften der Gruppe I/A und weiteren Interessierten.
Zunächst umriss Sandrisser, was der Begriff „Sicherheitspolitik“ gemäß der seit 2013 gültigen aktuellen österreichischen Sicherheitsstrategie vereinfacht umfasst: Die Reaktion auf Bedrohungen, die Prävention von Bedrohungen sowie die aktive Gestaltung von positiven Bedingungen. Bei der Reaktion und Prävention seien europäische Demokratien im eigenen Bereich erfolgreicher gewesen als bei der gemeinsamen Gestaltung einer guten, stabilen Gesamtkonstellation innerhalb der EU und nach außen, lautete seine These. Das zeigten die zunehmende Infragestellung europäischer Werte und des darauf fußenden europäischen Lebensmodells sowie der russische Überfall auf die Ukraine. Diese beiden Themen stünden auch im Mittelpunkt der interministeriellen Verhandlungen zur künftigen österreichischen Sicherheitsstrategie.
Wenn es um rechtzeitige positive Gestaltung gehe, gebe es daher Optimierungspotenzial für Europa insgesamt. Der Vortragende argumentierte das anhand von positiven und negativen Beispielen aus seinem früheren Arbeitsfeld der „Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ sowie mit Bezugnahme auf die innere Sicherheit.

Positive und negative Beispiele.

Wilhelm Sandrisser: „Sicherheitspolitik muss als gesamtstaatliche Aufgabe betrachtet werden.“
Wilhelm Sandrisser: „Sicherheitspolitik
muss als gesamtstaatliche Aufgabe
betrachtet werden.“ © BMI/Gerd
Pachauer

So seien die Möglichkeiten sicherheitspolitischer Gestaltung nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv und erfolgreich wahrgenommen worden. Die militärisch-machtpolitische Absicherung europäischer Demokratien sei frühzeitig durch die NATO erfolgt, das auf der Menschenwürde fußende demokratische Lebensmodell über den Europarat und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefördert sowie die wirtschaftliche und dann auch politische Zusammenarbeit durch den europäischen Integrationsprozess, zuletzt in der EU, entwickelt worden. „Daher können wir bis heute selbstbestimmt, in Frieden und in relativem Wohlstand leben“, sagte der Gruppenleiter.
Aufgrund dieser rechtzeitigen Gestaltung, von der auch das neutrale Österreich von Beginn an profitiert habe, hätten sich die europäischen Demokratien positiv entwickelt, und man habe einen Krieg mit der Sowjetunion vermeiden können, trotz deren, auch Westeuropa einbeziehenden Machtansprüche und trotz der Werte-Gegensätze und Macht-Ungleichgewichte zwischen der Sowjetunion und den kleineren europäischen Demokratien.
In Bezug auf die Ukraine und Russ­land habe es von Beginn an ebenfalls Macht-Ungleichgewichte, Werte-Gegensätze und Machtansprüche Russlands gegenüber seinem Umfeld gegeben, jedoch keine vergleichbare rechtzeitige Gestaltung einer guten, stabilen Gesamtkonstellation. Deshalb gebe es nun leider wieder Krieg in Europa, auch weil die Lehren aus der gescheiterten „Appeasement-Politik“ im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg nicht entsprechend gezogen worden seien, führte Sandrisser aus.

Fallbeispiel europäische Werte.

Bei den Arbeiten zur künftigen österreichischen Sicherheitsstrategie seien sich die beteiligten Verhandler über die Notwendigkeit eines gestalterischen Gesamtansatzes einig, wenn es um die Förderung europäischer Werte und des Zusammenhalts in unseren Gesellschaften gehe, sagte der Gruppenleiter zum zweiten zentralen Thema der künftigen Sicherheitsstrategie. Die europäischen Werte und das darauf fußende Modell eines selbstbestimmten Lebens und respektvollen Zusammenlebens auf Grundlage der Würde aller Menschen kämen von innen und außen immer mehr unter Druck. Das zeigten zunehmende Herausforderungen durch Islamismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus oder andere antidemokratische Extremismen sowie aufgrund antidemokratischer Ideologien, wie sie Russland oder China zu verbreiten versuchten. „Für eine rechtzeitige, auch positiv gestaltende Sicherheitspolitik müssen dabei nicht zuletzt die Zusammenhänge zwischen allen diesen Herausforderungen gesehen werden“, meinte Sandrisser.
Im Rahmen der künftigen österreichischen Sicherheitspolitik sollen deshalb die innere und äußere Sicherheit Österreichs sowie der EU auch durch die Förderung des demokratischen Wertebewusstseins und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gestärkt werden. Dabei gehe es um den Grundkonsens über individuelle Freiheit und wechselseitigen Respekt, den Wert freier, offener Gesellschaften für alle Menschen, die in europäischen Demokratien leben sowie die Notwendigkeit ihrer Verteidigung nach innen und außen.

Fallbeispiel neue Technologien und Digitalisierung.

Der technologische Fortschritt eröffne auch diesbezüglich neue Möglichkeiten, berge aber ebenso Risiken für staatliche Institutionen, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Staaten und Konzerne verfolgten ihre Interessen vermehrt über Grenzen hinweg „Mit ihren Aktivitäten können sie zur Bedrohung für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften werden“, erläuterte der Vortragende.
Angesichts verstärkter geopolitischer Konkurrenz werde der Cyber-Raum etwa vermehrt für hybride Aktivitäten missbraucht. Über Desinformation und technologisch manipulierte Inhalte – Stichwort Deepfakes – könnten die öffentliche Meinung, der politische Diskurs und demokratische Prozesse im Interesse von Extremisten und antidemokratischen Ideologien manipuliert werden. Angriffe auf kritische Infrastrukturen und Unternehmen seien weitere Herausforderungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit lebensnotwendigen Dienstleistungen und der Versorgungssicherheit.
Auch diesbezüglich gehe es nicht nur um die Reaktion auf und Prävention von Bedrohungen, etwa durch die notwendige Verringerung technologischer Abhängigkeiten, sondern ebenso um die Wahrnehmung bestehender digitaler Gestaltungmöglichkeiten, vor allem im Zusammenwirken mit europäischen Partnern, betonte der Gruppenleiter.

Sicherheit als Gesamtpaket.

Sicherheitspolitische Gestaltung, so Sandrisser, erfordere aber zunächst „die Definition unserer eigenen Interessen und Gestaltungsziele auf Basis eigener und europäischer Werte“. Zudem sei Sicherheitspolitik als gesamtstaatliche Aufgabe zu betrachten. „Das bedeutet, dass äußere und innere sowie zivile und auch militärische Sicherheitsaspekte aufs Engste verknüpft sind.“ Sicherheit sei sozusagen ein Gesamtpaket.

Zielsetzungen künftiger Sicherheitspolitik.

Sandrisser berichtete vom Fortschritt der Arbeiten an der künftigen Österreichischen Sicherheitsstrategie, die die Grundlage für die gesamtstaatliche Sicherheitspolitik im nächsten Jahrzehnt bilden soll. Gemeinsam verfolgten die beteiligten Ressorts BKA, BMEIA, BMLV, BMI und BMKÖS dabei vier Ziele: Die aktive Gestaltung eines sicheren und friedlichen Umfelds für die Menschen und Österreich; die Verhinderung des Entstehens oder Wirksamwerdens von Bedrohungen; den Schutz vor Bedrohungen beziehungsweise deren Eindämmung und Bewältigung sowie die Verankerung eines nachhaltigen und inklusiven Sicherheits-, Demokratie- und Werteverständnisses aller Bürgerinnen und Bürger.
Um ihre unterschiedlichen Stärken und Fähigkeiten zu nützen, wurden die Führungskräfte und Expertinnen und Experten im Anschluss gebeten, in Form von Gruppenarbeiten an den Überlegungen teilzunehmen. Fragen in die Runde lauteten etwa: „Welche sicherheitspolitischen Möglichkeiten bestehen in Bezug auf die angemessene Förderung von europäischen Werten“ und in Zusammenhang mit einer „wertebasierten Mit-Gestaltung der Digitalisierung“? Das führte zu angeregten Diskussionen und der Erörterung verschiedener Handlungsmöglichkeiten. Einigkeit bestand etwa über die Bedeutung von Bildung, Aus- und Fortbildung sowie Wissenschaft und Forschung, wenn es beispielsweise darum gehe, den Mehrwerts freier Gesellschaften für die Menschen besser zu vermitteln oder um österreichische Aktivitäten bei der Entwicklung und Nutzung neuer Technologien im Interesse des Gemeinwohls.

K. K./W. S.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2024

Druckversion des Artikels (PDF 161 kB)